Für die Höfe muss es sich lohnen, klimafreundlich zu arbeiten.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem BMUV-Agrarkongress am 17. Januar 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Vielen Dank für die erneute Einladung zum Agrarkongress des Bundesumweltministeriums. Offenbar bin ich hier ein gern gesehener Gast! Das freut mich sehr, denn es ist nicht selbstverständlich.
Nach gut einem Jahr Landwirtschaftsminister weiß ich: wenn es einem wichtig ist, es allen recht zu machen, dann sollte man einen großen Bogen machen um das Agrarministerium.
Und ich kann mir vorstellen, Steffi, dass Du ähnliche Erfahrungen gemacht hast.

Vor einem Jahr haben wir uns etwas Wichtiges vorgenommen: in Landwirtschaft und Umwelt ein neues Miteinander zu erreichen. Ein Miteinander, das es möglich macht, das Klima, unsere Gewässer und Böden, die Luft und die Biodiversität besser zu schützen. Und zugleich ein Miteinander, das es ebenso ermöglicht, weiterhin hochwertige und bezahlbare Lebensmittel in Deutschland herzustellen – aber eben nachhaltig, ohne Raubbau an unseren Lebensgrundlagen. Umweltministerium und Landwirtschaftsministerium haben dabei thematische Überschneidungen, aber auch jeweils eigene Felder und Verantwortlichkeiten, wo wir dann zusammenfinden.

Ich finde, die Fanfreundschaft unserer beiden Häuser, die wir beim vergangenen Agrarkongress geschlossen haben, hat sich dabei als stabil erwiesen. Stabil gerade auch dann, wenn unterschiedliche Perspektiven im Spannungsfeld von Nutzen und Schützen aufeinanderstoßen, die in der Natur unserer Ressorts liegen. Wir brauchen dieses Bündnis unserer Ressorts, um wichtige Ziele zu erreichen. Denn um Nahrungsmittel produzieren zu können, müssen wir nun einmal Ressourcen nutzen. Und zugleich müssen wir diese Ressourcen aber auch schonen, damit auch morgen und übermorgen noch Früchte gedeihen können. Artenvielfalt und Klima zu schützen, heißt immer auch Ernährung zu sichern – und de facto auch Frieden und Selbstbestimmung zu sichern.

Dieser Zusammenhang ist so klar, dass man sich manchmal wundern darf, dass er offenbar dennoch nicht selbstverständlich ist. Zumindest noch nicht – auch daran arbeiten wir. Wozu sicherlich auch gehört, so zu sprechen, dass man auch verstanden wird. Das ist ja auch eine Frage, die Professorin Göpel im Bereich der Wissenschaftskommunikation umtreibt und wo wir sicher auch von ihr lernen können. Wir sind jedenfalls gut beraten, aufmerksam zuzuhören – das war bei Prof. Drosten so und so ist es auch bei Professorin Göpel. Auch wenn das Thema der Transformation mindestens so kompliziert ist wie die Bewältigung einer Pandemie.

Meine Damen, meine Herren,

es gab sicherlich schon mal bessere Voraussetzungen, um den Klima- und Artenschutz voranzutreiben. Gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten, in denen die Preise steigen, insbesondere auch für Lebensmittel. Daher rührt auch meine große Sympathie für die Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse oder Hülsenfrüchte. Die Streichung würde viele Menschen im Alltag unterstützen und zugleich gesunde Ernährung günstiger machen. Und im Übrigen nimmt sie die Empfehlung der Zukunftskommission Landwirtschaft auf, die Mehrwertsteuer auf diese Produkte zu senken. Als Bundesregierung ist uns sehr bewusst, wie schwierig die jetzige Situation für viele ist. Wir haben deshalb einen milliardenschweren Schutzschirm gespannt und mehrere Entlastungspakete auf den Weg gebracht.

Wir alle wissen aber, dass die Ursache der aktuellen Preissteigerungen einen Namen hat: Putin. Solange der russische Präsident seinen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, werden wir mit den Folgen umgehen müssen. Ungeschehen machen können wir diese Folgen nicht, aber wir müssen damit klarkommen – und im besten Fall so, dass uns vergleichbare Folgen künftig nicht mehr so hart treffen.

Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich jetzt, Stichwort Energiekrise und Abhängigkeit von russischem Gas und anderen fossilen Energien. Unser Vize-Kanzler Robert Habeck hat wie kein anderer Wirtschaftsminister vor ihm den Turbo angeworfen. Da kann man fast schon von einer neuen Maßeinheit für schnelles politisches Anpacken sprechen – ein Habeck, zwei Habeck oder gar drei Habeck. Und man fragt sich doch unweigerlich, wo dieses Land heute stehen würde, hätten wir beim Netzausbau auch diese Habecks als Maßeinheit gehabt – statt Reformschritten in homöopathischen Dosen (wenn überhaupt). Und natürlich wünsche ich mir, dass dieser Turbo, den wir für den Wandel brauchen, schnellstmöglich mit erneuerbaren Energien angetrieben wird. Man kann sich eine Klimaanlage zulegen, aber eine andere Außentemperatur lässt sich nicht einfach so kaufen.

Die gute Nachricht ist: Das Miteinander unserer Häuser trägt Früchte. Wir haben bereits einiges erreicht.

  • Zur guten Zusammenarbeit von Agrar- und Umweltministerium fällt mir als erstes die Gemeinsame Agrarpolitik ein – hier insbesondere die Zusammenarbeit bei der Erstellung und Verhandlung des deutschen GAP-Strategieplans. Das war aus unserer Sicht ein äußerst konstruktiver Prozess zwischen BMUV und BMEL. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: Das muss noch viel mehr zum Prinzip für die Direktzahlungen werden. In diesem Sinne gehen wir bereits jetzt die GAP ab 2028 an. Werden aber auch die aktuelle Umsetzung der GAP auf Grundlage der Erfahrungen, die wir in diesem Jahr sammeln, nachjustieren.
  • Zweitens: Durch die konstruktive und zielorientierte Zusammenarbeit unserer beiden Häuser ist es uns gelungen, die Zwangsgeldzahlungen im Vertragsverletzungsverfahren zur EU-Nitrat-Richtlinie abzuwenden.
  • Drittens: Wir haben den Startschuss zum Umbau der Tierhaltung gesetzt und die finanzielle Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte gesichert
  • Viertens: Mit der Agenda zur Anpassung von Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei und Aquakultur an die Klimakrise haben wir gemeinsam mit Deinem Haus, liebe Steffi, wichtige Grundlagen für den Klimaschutz geschaffen.
  • Und schließlich (fünftens): Unsere gemeinsames Ziel ist der Schutz der Artenvielfalt.

Ich danke Dir sehr, Steffi, für Deinen Einsatz auf der Weltnaturkonferenz in Montreal.
Es ist leider nicht selbstverständlich, dass sich die Staatengemeinschaft zusammenrauft, um die Bekämpfung des Artensterbens endlich anzupacken.

Meine Damen, meine Herren,

ich habe vorhin vom Spannungsfeld von Nutzen und Schützen gesprochen. Ein Beispiel hierfür ist das Moor. In Deutschland machen Moore zwar nur rund fünf Prozent der Fläche aus – sie verursachen aber fast ebenso viele Treibhausgasemissionen wie die Landwirtschaft insgesamt. Deswegen sind Moore ein so wichtiger Hebel für den Klimaschutz. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen: Viele Bauernfamilien wirtschaften seit Generationen auf Moorstandorten. Vor nur wenigen Jahrzehnten galt es noch als ein großer Erfolg, Moorböden entwässert zu haben. Wenn wir jetzt genau in die entgegengesetzte Richtung steuern wollen, dann geht das nur zusammen mit den Landwirtinnen und Landwirten, den Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie mit den Kommunen und Verbänden. Für die Höfe muss es sich auch lohnen, klimafreundlich zu arbeiten. Genau hier übernehmen wir mit der Nationalen Moorschutzstrategie unter Eurer Federführung, liebe Steffi, Verantwortung. Wir wollen den Landwirtinnen und Landwirten eine klimafreundliche Nutzung der Moorböden – auch nach Wiedervernässung – ermöglichen. Wir denken hier an Photovoltaik, extensive Viehhaltung und Paludikulturen wie Schilf und Rohrkolben. Moorbodenschutz muss zu einer Einkommensquelle werden – dann funktioniert er auch.

Das gleiche gilt für den Pflanzenschutz. Wir müssen da umsteuern. Entscheidend ist, die Pflanzen systemisch gesund zu erhalten. Stichwörter hier sind Bodengesundheit, Fruchtfolgen und Sortenwahl. Pestizide werden in einem solchen System automatisch reduziert. Sie werden nicht obsolet, aber sie werden dann das letzte Mittel sein. Für diesen Paradigmenwechsel sind Reduktionsvorgaben wichtig und richtig. Die Verwendung und Risiko von Pestiziden müssen deutlich gesenkt werden, im Sinne von Farm-to-Fork bis 2030 insgesamt um die Hälfte – dahinter stehe ich! Zugleich sind viele Landwirtinnen und Landwirte deswegen in Sorge. Sie haben Angst um ihre Erträge. Das gilt insbesondere für Sonderkulturen, wie im Obst- und Weinbau, die unsere Kulturlandschaften und deren Artenvielfalt prägen. Für diese Landwirtinnen und Landwirte müssen wir tragfähige Lösungen finden.

Ich möchte dafür sensibilisieren, dass es keine banale Frage ist, ob es keinen Wein mehr aus der Pfalz und kein Obst mehr vom Bodensee gibt. Da geht es um Tradition, um Kultur und Sinnstiftung – und wenn Transformation wirklich erfolgreich und beständig sein soll, sind wir gut beraten, solche Aspekte zu berücksichtigen. Ich sehe bei EU-Verordnung über die nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) daher Nachbesserungsbedarf, insbesondere bei der Definition der "sensiblen Gebiete" und bei bereits erzielten Reduzierungen. Wer schon vor Jahren freiwillig mehr für den Naturschutz geleistet hat, sollte jetzt nicht nachträglich dafür bestraft werden! Ich habe die Sorge, dass wir sonst eigentliche Verbündete verlieren auf dem Weg, den Pestizideinsatz um die Hälfte zu verringern.

Meine Damen, meine Herren,

Landwirtinnen und Landwirte müssen mit der Erzeugung von Lebensmitteln und mit Umwelt-, Tier- und Klimaschutz Geld verdienen können. Dieser Hinweis aus dem Mundes eines Landwirtschaftsministers dürfte Sie nicht verwundern. Mir geht es eben darum, dass die Landwirte ihren Lebensunterhalt gut damit bestreiten können, nicht gegen die Natur, sondern mit ihr zu arbeiten.

Nutzen und schützen, bewahren und verändern – das müssen wir so in Einklang bringen, dass wir damit Zukunft retten, Zukunft schaffen. Und das alles zugleich so, dass wir unsere Demokratie stärken. Das ist wahrlich nicht einfach, aber das ist unsere größte Aufgabe. Aber ich bin und bleibe zuversichtlich, auch wenn es gefühlt immer zu langsam vorangeht.

Liebe Steffi, lass uns weiter gemeinsam nach vorne schauen und gemeinsam Gutes schaffen – auch mit Hilfe unserer Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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