"Die Wissenschaft kann klar belegen, welche positiven Auswirkungen eine nachhaltige Bewirtschaftung auf den Klima- und Umweltschutz hat"

Rede von Bundesminister Cem Özdemir beim BÖLW-Empfang, 20. Januar 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein. Ich bin auch froh, dass Sie mich nicht ausgeladen haben, da ich ja scheinbar noch nicht die in mich gesetzten Erwartungen erfüllt habe. Zumindest steht dies so in Ihrer Pressemitteilung, liebe Frau Andres. Aber keine Sorge, ich sehe dies sportlich und als Motivation, weiter ehrgeizig für Veränderungen zu kämpfen. Für eine nachhaltigere Land- und Ernährungswirtschaft, mit der wir Boden, Tiere, Luft, Wasser und die Arten schonen und pflegen, um sie für unser Leben und Überleben nutzen zu können. Damit wir diesen Weg endlich konsequent angehen, sind wir als Bundesregierung angetreten. Wenn wir dann gelegentlich von außen zu mehr Tempo aufgefordert werden, hilft das uns allen weiter. Denn es gibt ja auch genügend Kräfte, die mich auf diesem Weg mit dem Lasso wieder einfangen wollen.

"Endlich ist dieses Jahr bald vorbei." Selten habe ich diesen Satz so häufig gehört wie am Ende des vergangenen Jahres. Ich weiß, dass die Zeiten auch für Sie nicht einfach sind, insbesondere was den Fachhandel und die Lebensmittelhersteller betrifft. Wir tun, was wir können, auch wenn es für manche angesichts der Probleme möglicherweise immer noch zu wenig ist. Aber zur Wahrheit gehört, dass wir nicht alle Folgen dieses Krieges abfedern oder gar ungeschehen machen können. Und das bedeutet, dass 2023 ein weiteres schweres Jahr werden könnte. Das kann und will ich nicht beschönigen. Die Politik hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wahrlich nicht alles richtig gemacht – und jetzt geht es darum, aus Fehlern zu lernen.

Doch es gibt auch Lichtblicke. In Montreal hat man bei der Weltnaturkonferenz angepackt, sich auch zusammengerauft. Auch Dank des großen Einsatzes von Umweltministerin Steffi Lemke. Dort haben sich fast 200 Länder auf ein Abkommen geeinigt, das dramatische Artensterben zu bekämpfen. Und wir alle wissen, wie wichtig die Artenvielfalt auch für die weltweite Ernährungssicherung ist. Sie ist aber auch wichtig für unsere Wirtschaft, denn Artenvielfalt ist letztlich auch ein Produktivitätsfaktor. Ohne sie sind wir wirklich aufgeschmissen. Daher ist dieses Abkommen ein Meilenstein und auch nicht selbstverständlich in diesen wirklich schweren Zeiten. Die Weltgemeinschaft hat diesen Meilenstein geschafft, weil wir gemeinsam nach vorne geblickt und die Dinge angepackt haben.

Und genau das versuchen wir auch in der Bundesregierung zu beherzigen! Wir haben Hilfspakete geschnürt, die jetzt schon wirken und auch in diesem Jahr spürbare Entlastungen bringen werden. Wir packen die Energiewende an. Wir stellen in kürzester Zeit auf die Beine, was andere Jahrzehnte lang verschlafen oder sogar bekämpft haben. Auch weil unser Wirtschaftsminister alles in die Waagschale wirft und packt. Und da kann man fast schon von einer neuen Maßeinheit für schnelles politisches Anpacken sprechen – ein Habeck, zwei Habeck oder gar drei Habeck. Und man fragt sich doch unweigerlich, wo dieses Land heute stehen würde, hätten wir beim Ausbau der Erneuerbaren, beim Netzausbau und auch bei der Förderung des Ökolandbaus auch diese Habecks als Maßeinheit gehabt – statt politischen Reformschritten und Unterstützung in homöopathischen Dosen (wenn überhaupt). Auf Schwäbisch sagt man, dass einem das Brot in der Gosch schimmelt – so langsam haben wir an mancher Stelle darauf reagiert, dass sich die Welt draußen dramatisch verändert und verändert hat.

Auch bei den Veränderungen für eine noch nachhaltigere und resilientere Landwirtschaft blicken wir gemeinsam nach vorne und packen die Dinge an. Dabei spielt Ernährung eine entscheidende Rolle. Denn die Art wie wir uns ernähren, hat erheblichen Einfluss auf das, was die Landwirtschaft produziert, wie sie es produziert – und welche Folgen das für Mensch, Natur und Klima hat. Wir müssen die Chancen nutzen, die sich daraus ergeben, dass immer mehr Menschen zu pflanzlichen Lebensmitteln greifen. Die Gesellschaft verändert sich hier längst – das ist nichts, was ich als Minister verfüge oder entscheide. Sondern mir geht es darum, diese Veränderungen aufzugreifen und zu gestalten.Wir reden hier über Marktchancen, die gerade den Produzenten ökologischer Produkte neue Absatzmärkte bieten.

Ein nicht unerheblicher Nebeneffekt wäre zudem, dass wir dadurch unseren bekanntermaßen viel zu hohen Fleischkonsum reduzieren. Darum werbe ich gerade stetig dafür, die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte auf Null zu setzen. Diese Forderung knüpft auch an die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft an. Aber was Entscheidungen zu Steuern angeht, da muss der Finanzminister ran. Ich glaube aber, mit Steuern sollte man steuern. Und zwar in Richtung Gesundheit wie auch in Richtung Nachhaltigkeit.

Wenn wir uns das Konsumverhalten der letzten drei Jahre in Deutschland anschauen, dann sehen wir, dass die Nachfrage nach biologisch erzeugten Lebensmitteln gestiegen ist. Gemüse, Käse, Fleisch, Eier: Da stiegen die Absatzmengen von Bio-Produkten im Jahr 2022 im Vergleich zu 2019 um rund 50 Prozent. Der jetzige Umsatzknick trifft vor allem den Fachhandel. Das ist bitter, weil das ja die Pioniere schlechthin sind. Im Discounter wurde aber sogar mehr Bio verkauft als 2021. Insgesamt bleiben die Kundinnen und Kunden Bio also treu. Wer übrigens meint, dass Bio teurer ist, der wird gerade auch eines Besseren belehrt: Manche Bio-Produkte sind nun sogar günstiger als konventionelle, wie wir bei der Bio-Milch erleben. Wir haben uns die Inflation einmal etwas detaillierter im Vergleich angeschaut. Die Entwicklung ist eindeutig: Die Preise für konventionelle Speisekartoffeln sind um mehr als 30 Prozent gestiegen, bei Bio-Kartoffeln dagegen um weniger als 5 Prozent. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben durch die aktuellen Entwicklungen auch erfahren, dass Bio hilft, Landwirtschaft und Ernährung krisenfest zu machen. Wir konnten vermitteln, dass das auch daran liegt, dass der Ökolandbau auf nachhaltige Kreisläufe setzt – und nicht auf teure Mineraldünger sowie chemische Pflanzenschutzmittel angewiesen ist.

Stichwort Ressourceneffizienz: Die Wissenschaft kann klar belegen, welche positiven Auswirkungen eine nachhaltige Bewirtschaftung auf den Klima- und Umweltschutz hat. Manche behaupten da ja gerne etwas Anderes. Ganz aktuell liefert die Studie von Prof. Hülsbergen über das Netzwerk der Pilotbetriebe sehr praxisnahe Forschungsergebnisse. Auf der Grundlage von Stickstoff- und Treibhausgasbilanzen der Pilotbetriebe und auf Grundlage der mittleren Umweltkosten für Stickstoff- und Treibhausgasemissionen betragen die Kosteneinsparungen durch Ökolandbau 750 bis 800 Euro pro Hektar. Das muss man sich einmal vor Augen führen: Das sind die wissenschaftlich ermittelten Einsparungen von Umweltkosten für die Gesellschaft. Bei einer Öko-Fläche von 1,8 Millionen Hektar macht das Kosteneinsparungen von 1,5 Milliarden Euro. Bei 30 Prozent Öko-Flächenanteil wären das Einsparungen von Umweltkosten von 4 Milliarden Euro in Deutschland. Das ist eine klare Botschaft: Je schneller die Umstellung auf ökologischen Landbau erfolgt und je größer die ökologische Anbaufläche ist, umso größer ist die Umweltentlastung.

Zugleich gilt: Auch die Umwelt- und Klimaschutzleistungen des ökologischen Landbaus können noch optimiert werden. Durch Forschung und Innovationen, Umwelt- und Klimaschutzmanagement in den Wertschöpfungsketten sowie konsequente Umsetzung der Prinzipien des ökologischen Landbaus. Apropos Forschung: Wir haben das Bundesprogramm Ökolandbau wieder auf Bio fokussiert und die Mittel erhöht. Zudem werden wir zukünftig 30 Prozent unserer Forschungsmittel für den Ökolandbau einsetzen.

Ich danke Ihnen deshalb auch sehr, dass Sie gemeinsam mit uns so intensiv an der Zukunftsstrategie für den Ökolandbau (ZÖL) mitwirken. Damit werden wir dem Ökolandbau einen großen weiteren Schub verleihen auf dem Weg zu unserem 30-Prozent-Ziel. Auf der Biofach stellen wir das bislang erarbeitete vor, um es gemeinsam mit der Branche, den Ländern und allen Beteiligten zu diskutieren. Darüber hinaus ist weiterer Austausch ja bereits terminiert. Am 8. Februar werden wir mit Bio-Handwerk und Handel noch einmal ganz konkret darüber sprechen, was wir gemeinsam – über die ZÖL hinaus – noch angehen können. 

Meine Damen, meine Herren,

mein Anspruch ist es, so zu verändern, dass wir das Gute bewahren können. Schützen und Nutzen zusammenbringen, das ist unser grüner Faden. Die Lösungen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, fallen nicht vom Himmel. Das gilt für den anstehenden Umbau der Tierhaltung genauso wie bei der Reduzierung des Pestizideinsatzes, den wir ganz im Sinne der Farm-to-Fork- Strategie halbieren wollen. Gerade der Umbau der Tierhaltung ist ein wesentliches Element für eine nachhaltigere Landwirtschaft in Deutschland. Die geplante verpflichtende staatliche Haltungskennzeichnung schafft Transparenz für Verbraucher und Verbraucherinnen. Die Kennzeichnung verschafft Bäuerinnen und Bauern Investitionssicherheit und eine langfristige Perspektive, denn die neue Regelung stellt die Weichen für ein Stallsystem der Zukunft. Ganz bewusst ist für Bio eine eigene Stufe vorgesehen – wie bei der gelernten und bewährten Eierkennzeichnung. Wir wollen honorieren, dass sich die Bio-Tierhaltung von je her durch besonders strenge Haltungsregeln auszeichnet und so für eine deutliche Minderung des Antibiotikaeinsatzes sorgt und für die Nutzung von regionalem Futter steht.

Für die Finanzierung des Umbaus habe ich ein eine Milliarde starkes Bundesprogramm erarbeitet. Damit Investitionen auf den Höfen ankommen. Mit diesem Programm unterstützen wir auch bei den laufenden Kosten für mehr Tierwohl. Wir wollen durch Zuwendungsbescheide für bis zu 10 Jahre eine garantierte Verlässlichkeit schaffen. Das ist völlig neu! Ich kämpfe damit für Planungssicherheit weit über die jetzige Legislaturperiode hinaus.

Um Planungssicherheit, Verlässlichkeit und nachhaltiges Wirtschaften geht es auch bei der Debatte um die zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik. Wo wir konnten, haben wir den Ökolandbau in der nationalen Umsetzung der EU-Agrarpolitik gestärkt. Die habe ich ja an einer Stelle geerbt, wo nicht mehr viel zu machen war. Trotzdem habe ich das 30-Prozent-Ziel im GAP-Strategieplan verankert. Und über einen GAK-Sonderrahmenplan wird mit 175 Millionen Euro die Umstellung und die Beibehaltung von Ökolandbau unterstützt. Diese Unterstützung ist bedeutend. Wir haben hier ein gutes Anreizsystem, bis sich die Investitionen in Bio selber trägt. Damit überbrücken wir das "Delta des Durchhaltens", so hat es die Wissenschaftlerin Maja Göpel am Dienstag auf dem Agrarkongress im Umweltministerium so treffend formuliert. Wichtig ist mir dabei aber immer, dass unsere Landwirtschaft in Deutschland erfolgreich bleibt – gerade auch die ökologische! Daran arbeite ich mit ganzer Kraft!

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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