"Die Menschen in ländlichen Regionen sind nicht nur Macher, sie müssen auch Gewinner der Energiewende sein"

Rede von Bundesminister Cem Özdemir bei der Eröffnung des 16. Zukunftsforums Ländliche Entwicklung, 25. Januar 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Herzlich Willkommen beim 16. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung. Ein herzliches Willkommen auch an die Teilnehmenden an den Bildschirmen! Besonders freue ich mich, dass meine irische Kollegin heute bei uns ist. Irland ist dieses Jahr Partnerland unseres Zukunftsforums.

Liebe Heather, nochmals herzlich willkommen! Du kommst von der grünen Insel, einem Sehnsuchtsort, nicht nur der Farbe wegen. Vor allem verfügt Irland über umfangreiche Erfahrungen, wie man ländliche Regionen zukunftsfest macht. Wir können sicher einiges von euch lernen. Ich freue mich auch sehr, dass Bundesministerin Steffi Lemke unserer Einladung gefolgt ist. Liebe Steffi, unsere Ministerien arbeiten intensiv und sehr konstruktiv zusammen. Das war in früheren Bundesregierungen in anderer Konstellation ja auch schon mal anders…

Meine Damen, meine Herren,

die Klimakrise und ihre Folgen machen deutlich: Wir haben verdammt viel zu verlieren. Gerade in den ländlichen Regionen sind die Folgen deutlich spürbar. Wir denken an das Hochwasser an der Ahr, an Mondlandschaften im Harz, Gletscherschmelze in den Alpen, Sturmschäden und Starkregen allerorts. An beschneite Skipisten, die sich surreal wie weiße Teppiche durch grüne Berglandschaften ziehen – und zugleich zeigen, wie die Klimakrise konkret die lokale Wirtschaft trifft. In den vergangenen Jahren gab es vermutlich kaum Menschen auf dem Lande, die nicht mittel- oder unmittelbar von Wetterextremen betroffen waren. Und deswegen unterstützen wir die ländlichen Regionen beim Klimaschutz und dabei, gegen die Folgen der Klimakrise resilienter zu werden.Wir setzen dabei etwa auf vorausschauende Flächenplanung, Hochwasserschutz und die Stärkung der Wälder.

Aber vor allen Dingen setzen wir auf Sie, meine Damen und Herren. Ich spreche in diesem Saal zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Gemeinderätinnen und Gemeinderäten, Regionalmanagerinnen und Regionalmanagern und vielen anderen Engagierten in und für ländliche Räume. Das ist geballte Expertise – die besten Ideen werden vor Ort entwickelt. Warum? Weil es Ideen sind, die den Ort konkret mitdenken und nicht als etwas Abstraktes betrachten. Innovation und "Erfindergeischt" sind auf dem Land zuhause. Ausdrücklich nicht nur im Ländle...

Wir sind gut beraten, den ländlichen Raum nicht nur im Verhältnis zu den Städten, sondern vor allem in seiner eigenen Besonderheit und seinen Stärken gerecht zu werden. Ich muss nicht "Stadt" sagen, um die Stärken des Landes hervorzuheben. Der ländliche Raum steht auch für sich! Deshalb setzen wir auf den so genannten Bottom-Up-Ansatz – auf kluges Management, das von den Menschen ausgeht. Wir öffnen Türen, damit die Menschen ihre Ideen vor Ort ausprobieren können. Mit unserem erfolgreichen Regionalbudget fördern wir Projekte auf dem Land. Unser Ziel ist es, diese Förderung zu entfristen. Mit dem europäischen LEADER-Programm helfen wir lokalen Aktionsgruppen, Entwicklungskonzepte für ihre Region zu erarbeiten.Schließlich unterstützen wir mit dem "Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und regionale Wertschöpfung" innovative Ideen für unser Zusammenleben heute und morgen.

Der Erfolg unserer Förderinstrumente gibt uns recht! Mir ist aber wichtig zu betonen: Ich als zuständiger Minister aus der Hauptstadt verfüge nicht par ordre du mufti, was auf dem Land zu tun ist. Der offene Dialog, Zuhören, Neues lernen - das ist elementar für mich. Aber zu meiner Jobbeschreibung gehört natürlich auch, Veränderungen anzustoßen und zu unterstützen. Für mich ist aber glasklar: Die notwendigen Veränderungen werden wir nur meistern, wenn wir die Kräfte der aktiven Zivilgesellschaft entfalten. Wir wollen die Menschen nicht überrennen, denn dann werden wir alle stolpern und stürzen. Natürlich gibt es unterschiedliche Interessen und Konflikte – wenn dem nicht so wäre, wären wir keine lebendige Demokratie. Aber unsere Lebendigkeit muss sich auch dadurch auszeichnen, dass wir Kompromisse finden und zu Lösungen kommen. Nur so kommen wir wirklich weiter.

Meine Damen, meine Herren,

unsere ländlichen Regionen werden überproportional am Transformationsprozess beteiligt sein. Das gilt gerade auch für die Energiewende. Wind- und Wasserkraft, Freiflächenphotovoltaik und Biogas – ein Großteil erneuerbarer Energien wird hier erzeugt. Wir wissen: Land.Kann.Klima. Aber das Können ist das eine – die Anstrengungen müssen sich auch lohnen. Die Menschen in ländlichen Regionen sind nicht nur Macher, sie müssen auch Gewinner der Energiewende sein.Unser Ziel muss sein, regionale Wertschöpfung zu etablieren, von der alle profitieren: Die Menschen vor Ort, die lokale Wirtschaft, die Natur, das Klima. Kurzum: Ich will, dass das Land wirklich profitiert!

Das heißt auch, bürokratische Hürden für Bürgerenergiegesellschaften bei Wind- und Solarprojekten abzubauen und Kommunen an den Erträgen zu beteiligen – das unterstütze ich ausdrücklich. Es gibt weitere Bereiche, in denen es uns darum gehen muss, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken, auch um uns klimaresilienter aufzustellen und der Klimakrise zu begegnen. Ich denke an regionale Lebensmittelketten wie beispielsweise in unserem Projekt mit dem Unternehmensnetzwerk "Meck Schweizer" in Mecklenburg-Vorpommern. Oder an die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Regionalbewegung und an neue Wege der Mobilität. Dazu werden wir im Anschluss noch mehr von den Macherinnen und Machern vor Ort hören und vieles mehr.

Damit wir die Transformation stemmen, braucht es Menschen, die anpacken und machen – Stichwort: Fachkräftemangel. Die Bundesregierung hat eine Fachkräftestrategie beschlossen und arbeitet intensiv daran, die Potenziale im Land besser zu nutzen und zugleich auch Einwanderung von Fachkräften zu erleichtern. Und darin steckt eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Denn wir müssen es auch ausstrahlen, dass wir wollen, dass Menschen zu uns kommen. Dass sie hier anpacken und mit uns eine Zukunft aufbauen. Vielfalt sorgt für Stabilität – in jeder Hinsicht. Entscheidend dabei ist nicht, wo jemand herkommt, sondern was er oder sie hier macht!

Meine Damen, meine Herren,

die Energiewende findet vor allem auf dem Land statt. Hier ist die Fläche. Aber sie ist begrenzt! Deshalb gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass wir über ihre Mehrfachnutzung sprechen müssen. Das muss nicht zwangsläufig Negatives bedeuten. Es kann auch sinnvolle Synergien ergeben. Ich bin sehr gespannt, welche positiven Zukunftsszenarien in den Fachforen vorgestellt und diskutiert werden. Wichtig ist aber auch hier: Es gilt, die Menschen vor Ort einzubinden, damit man gemeinsam zu wirklich beständigen Lösungen kommt. Das gilt für jede Form der Nutzung – ob Moor, Dorfentwicklung oder Waldwirtschaft. Uns geht es bei der Mehrfachnutzung gerade nicht um "A oder B", sondern um "A und B" und am besten auch "C". Das muss sich am konkreten Fall zeigen, die Wahrheit ist da schnell konkret. Wobei zur konkreten Wahrheit manchmal auch gehört, dass Nichtnutzung eine sinnvolle Nutzung sein kann. Nutzen, schützen, verändern – das ist das Koordinatensystem, in dem wir uns alle bewegen und zu den besten Entscheidungen kommen müssen.

Meine Damen, meine Herren,

was wir hier gemeinsam machen, ist vor allem: Demokratie! Und ein aufmerksamer Blick in die Welt zeigt uns: Nichts ist selbstverständlich – auch nicht Demokratie; selbst da nicht, wo sie schon einige Zeit Bestand hat.
Wir müssen etwas dafür tun und deswegen sind wir hier. Aktives Bürgerengagement lebt vom Diskurs, gerade wenn es darum geht, im Dickicht neue Pfade einzuschlagen. Nutzen sie unser Zukunftsforum bitte als Ideenschmiede, Diskussionsplattform und als Vernetzungsmöglichkeit. Ich wünsche uns allen zwei inspirierende Tage! Hiermit erkläre ich das 16. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung für eröffnet!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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