"Bio ist eine entscheidende Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise"

Rede von Bundesminister Cem Özdemir zur Eröffnung der Messen BioFach und Vivaness 2023, am 14. Februar 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

gut ein halbes Jahr ist es erst her, dass wir uns hier bei der Corona-bedingten “Summer-Edition“ getroffen haben. Viele von Ihnen habe ich auch zur Grünen Woche in Berlin gesehen. Und auch künftig müssen und werden wir uns intensiv austauschen, um voranzukommen. Denn ich möchte an dieser Stelle gleich vorneweg eines unmissverständlich zum Ausdruck bringen: Bio ist eine entscheidende Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise – wer das anders sieht, irrt sich.

Ein prominenter Vertreter der deutschen Bauernschaft hat im Dezember gesagt, er halte es "aus moralischer Sicht nicht für vertretbar", die Förderung der ökologischen Landwirtschaft auszuweiten. Er hat es mit der Notwendigkeit begründet, kurzfristig Erträge zu steigern und Ernährung zu sichern. Ich verstehe natürlich die Sorge, finde aber nicht, dass man da gleich moralisch im Sinne von Gut und Böse argumentieren sollte – das hat mich ja früher so manches Mal an meiner eigenen Partei gestört. Ich komme in der Politik da eher aus der nüchternen Abteilung. Und da stellt sich mir die Frage: Wie schaffen wir es, nicht nur heute unser aller Ernährung zu sichern – sondern auch morgen und übermorgen?

Denn genau darin liegt meine Verantwortung als Minister. Sie reicht weiter, als nur an die nächste Ernte zu denken. Ich muss auch an die Ernten in zehn, zwanzig und fünfzig Jahren denken! Und diese künftigen Ernten sind eben nicht selbstverständlich, wenn ich kurzfristig Erträge steigere – koste es, was es wolle. Daher müssen wir die Interessen der Gegenwart mit den Interessen der Zukunft so in Einklang bringen, dass auch unsere Kinder und Kindeskinder gute Ernten einfahren können. Hier wie auch anderswo auf der Welt.

Genau diese Denkweise finde ich im ökologischen Landbau. Er ist das Leitbild der Bundesregierung für eine nachhaltige Landwirtschaft. Es ist im gesellschaftlichen Interesse, ihn zu fördern und stark zu machen.

Der Öko-Landbau schützt in besonderem Maße Klima und Artenvielfalt, Boden, Wasser und Luft. Die Bio-Branche zeigt außerdem, wie nachhaltige Produktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelingt.

  • Sie steht für regionale Vertriebswege.
  • Sie steht für faire Partnerschaften mit bäuerlichen Familienbetrieben.
  • Sie steht für einen starken Mittelstand in den ländlichen Räumen.

Wir haben also sehr gute Gründe, Bio stark zu machen. Deshalb wollen wir 30 Prozent Öko-Landbau bis zum Jahr 2030 schaffen. Dabei geht es um Öko in der gesamten Wertschöpfungskette – auf den Feldern und in der Herstellung, in den Ladenregalen und natürlich auch an der Ladenkasse.

Dabei bahnt uns die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZöL) den Weg. Sie ist der Bio-Plan der Bundesregierung.

Wir wollen mit einer ressortübergreifenden Strategie der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft neue, noch stärkere Wachstumsimpulse geben. Zusammen mit Landwirtinnen und Landwirten, Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Verbänden, Wissenschaft, Politik und Verwaltung arbeiten wir stetig an der Weiterentwicklung der Zukunftsstrategie. Ich danke allen Beteiligten schon jetzt für diese fruchtbare und konstruktive Arbeit. Mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung, mehr Geld für die Öko-Forschung, starke Bio-Wertschöpfungsketten, eine Informationskampagne über Bio – es gibt kaum ein Thema, das wir nicht anpacken werden, um die 30 Prozent Ökolandbau Realität werden zu lassen.

Die Zukunftsstrategie werden wir hier in Nürnberg weiter diskutieren. Sie haben die Möglichkeit, zusätzliche Maßnahmen zu identifizieren oder bereits vorgeschlagene zu präzisieren. So wie es in der vergangenen Woche bei mir im Haus mit Bio-Mittelstand, -Hersteller und -Handel bereits konstruktiv erfolgt ist.

Meine Damen, meine Herren,

Sie haben einen Markt aufgebaut mit einer treuen Kundschaft. Aber die Potenziale sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ein wichtiger Hebel ist der Konsum außerhalb der eigenen vier Wände – die bereits erwähnte Außer-Haus-Verpflegung. Jeden Tag essen rund sechs Millionen Menschen in Deutschland auswärts. Davon wären laut unseres aktuellen Ökobarometers 80 Prozent auch bereit, beispielsweise in einer Kantine oder Mensa mehr für ein Bio-Gericht zu bezahlen. Deswegen wollen wir, dass die Kantinen mehr regionale und ökologische Produkte in ihr Angebot aufnehmen. Hier wollen wir gezielt ansetzen und als Bund mit gutem Beispiel vorangehen. In den Bundeskantinen will ich einen Bio-Anteil von mindestens 30 Prozent erreichen und ein Signal setzen.

Morgen werden wir im Kabinett den Entwurf des Öko-Landbaugesetzes beschließen. Das Gesetz wird der geplanten nationalen Bio-Außer-Haus-Verpflegung den Weg ebnen. Mit dieser Verordnung werden wir es Kantinen und anderen Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung erleichtern, an der Bio-Zertifizierung teilzunehmen. Wir werden es Unternehmen ermöglichen, durch ein einfaches und transparentes Logo den Anteil von Bio-Produkten in ihren Kantinen sichtbar zu machen. Diese Sichtbarkeit ist wichtig, damit sich andere ein Beispiel nehmen können und der allgemeine Standard Schritt für Schritt besser wird.

Auch für die erzeugenden Betriebe haben wir in den letzten Monaten – direkt und indirekt – manches verbessern können. Wir haben höhere Öko-Prämien im Rahmen der nationalen Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik eingeführt. Wir erleichtern die Umstellung auf ökologische Produktion durch die Erstattung von Kosten, die durch diese Umstellung entstehen.

  • Wir haben das Bundesprogramm ökologischer Landbau auf seinen ursprünglichen Zweck zurückgeführt und finanziell auf knapp 36 Millionen Euro gestärkt.
  • Wir haben unsere Eiweißpflanzenstrategie ausgebaut und dafür haben 4 Millionen Euro mehr im Haushalt bereitgestellt.
  • Die neue, staatliche verbindliche Tierhaltungskennzeichnung wird eine eigene Bio-Stufe beinhalten.
  • Und wir werden zukünftig 30 Prozent unseres Forschungsbudgets für Öko-Forschung einsetzen. Das gilt sowohl im Rahmen unserer Ressortforschung als auch in der Forschungsförderung.

Denn natürlich gibt es auch im Öko-Landbau Potenziale für Verbesserungen. Das ist ja auch ein Merkmal der Branche: die Bereitschaft, immer wieder ein bisschen besser werden zu wollen.

Was die Erträge von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft angeht, möchte ich an dieser Stelle aber festhalten: es ist komplizierter als manche meinen.

  • Es macht nämlich einen Unterschied, ob ich Erträge eines Jahres oder langfristig betrachte.
  • Es macht einen Unterschied, wie gut die Böden sind, die jeweils genutzt werden.
  • Und es macht einen Unterschied, ob und wie ich die Umweltwirkungen quantifiziere.

Die vielen positiven Eigenschaften des Öko-Landbaus sind wissenschaftlich belegt – nur Schwurbler stellen das in Frage. Aktuell liefert die Studie von Professor Hülsbergen von der TU München über ein Netzwerk von Pilotbetrieben beeindruckende Ergebnisse. Auf der Grundlage von Stickstoff- und Treibhausgasbilanzen dieser Pilotbetriebe und auf Grundlage der mittleren Umweltkosten für diese Emissionen wurden die Kosteneinsparungen durch den Ökolandbau berechnet. Sie betragen 750 bis 800 Euro pro Hektar! Das sind die wissenschaftlich ermittelten Einsparungen von Umweltkosten, die aktuell der Gesellschaft aufgebürdet werden. Bei einer Öko-Fläche von 1,8 Millionen Hektar sind das 1,5 Milliarden Euro. Bei 30 Prozent Öko-Flächenanteil wären das Einsparungen von Umweltkosten von ca. 4 Milliarden Euro in Deutschland. Das ist eine klare Botschaft: Je schneller es den Höfen und Unternehmen ermöglicht wird, auf Bio zu setzen und je größer die ökologische Anbaufläche ist, umso größer ist der Gewinn für unsere Umwelt.

Die Vorteile von Bio-Produkten für unsere Gesellschaft sind offenkundig – aber nicht überall bekannt. Wir wollen die Leistungen des Öko-Landbaus für Umwelt und Klima öffentlich sichtbarer machen. Deshalb werden wir als Ministerium eine Informationskampagne für Bio auf den Weg bringen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich, dass sie gut informierte Entscheidungen treffen können. Die Info-Kampagne dient diesem Zweck.

Ein zentraler Hebel für Veränderungen und Investitionen liegt im Umbau der Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa. Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen - diese Forderung der ZKL muss noch viel mehr als heute zum Prinzip für die Direktzahlungen werden. In der nächsten GAP-Förderperiode müssen wir Umweltleistungen besser honorieren. Wo wir konnten, haben wir den Ökolandbau in der nationalen Umsetzung der EU-Agrarpolitik schon gestärkt. Die habe ich ja an einer Stelle geerbt, wo nicht mehr viel zu machen war. Trotzdem habe ich das 30-Prozent-Ziel im GAP-Strategieplan verankert.

Zusätzlich zu den Geldern aus der GAP wird die Umstellung und die Beibehaltung von Ökolandbau über einen gemeinsam mit den Ländern finanzierten Sonderrahmenplan unterstützt. Insgesamt sehen die aktuellen Planungen zum GAP-Strategieplan für den Öko-Landbau rund eine halbe Milliarde Euro jährlich vor. Das sind Investitionen die sich lohnen – heute, morgen und auch übermorgen.

Meine Damen, meine Herren,

die Bio-Branche ist vielfältig. Da geht es manchen besser. Für andere sind die Zeiten besonders herausfordernd. Doch die gute Nachricht ist, dass die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln insgesamt sehr robust ist. Im Öko-Barometer geben 89 Prozent an, künftig mehr Bio kaufen zu wollen. Bei Gemüse, Käse, Fleisch und Eier sind die Absatzmengen von Bio-Produkten 2022 im Vergleich zu 2019 um rund 50 Prozent gestiegen.

Die Preise von Bio-Produkten sind in Krisenzeiten auch stabiler. Hier wirken vorrangig regionale Lieferketten und die größere Unabhängigkeit von Mineraldünger quasi wie eine Inflationsbremse. Zugleich, das gehört zur Wahrheit dazu, gibt es in Teilen des Fachhandels einen Umsatzknick. Es handelt sich dabei auch um den einen oder anderen Pionier, die den Öko-Markt mit Unternehmergeist und Innovation erst geschaffen haben. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bio eine großartige Erfolgsgeschichte ist, die noch lange nicht auserzählt ist – ganz im Gegenteil! Und ich wünsche mir, dass Sie das auch selbstbewusst ausstrahlen.

Natürlich sind wir hier auch als Bundesregierung gefordert.

  • Wir müssen das Machbare tun, damit die grundsätzliche Bereitschaft der Menschen, Bio zu kaufen, auch Wirklichkeit werden kann.
  • Wir haben Hilfspakete geschnürt, die wirken und auch in diesem Jahr spürbare Entlastungen für die Menschen im Land bringen werden.
  • Wir packen die Energiewende an.
  • Wir stellen in kürzester Zeit auf die Beine, was andere Jahrzehnte lang verschlafen oder sogar aktiv bekämpft haben.

Auch weil unser Wirtschaftsminister alles in die Waagschale wirft und anpackt. Da kann man fast schon von einer neuen Maßeinheit für schnelles politisches Anpacken sprechen – ein Habeck, zwei Habeck oder gar drei Habeck. Und man fragt sich doch unweigerlich, wo dieses Land heute stehen würde, hätten wir beim Ausbau der Erneuerbaren oder beim Netzausbau diese Habecks als Maßeinheit gehabt – oder auch bei der Förderung des Ökolandbaus.

Meine Damen, meine Herren,

die Art und Weise, wie wir uns ernähren, hat weitreichende Folgen – und ist zugleich ein großer Hebel für Veränderungen. Aber der Punkt ist ja gerade: Diese Veränderungen finden in unserer Gesellschaft schon längst statt. Gerade bei Jüngeren ist Ernährung durchaus auch eine politische Frage, die in einen größeren Kontext von Mensch, Natur und Klima gestellt wird.

Wenn es hier auf der Biofach eine "Erlebniswelt Vegan" gibt, dann doch deshalb, weil es eine steigende Nachfrage nach diesen Produkten gibt. Wir müssen die Chancen nutzen, die sich daraus ergeben, dass immer mehr Menschen zu pflanzlichen Lebensmitteln greifen. Wir reden hier über Marktchancen, die gerade den Produzenten ökologischer Produkte neue Absatzmärkte bieten. Und ein nicht unerheblicher Nebeneffekt wäre zudem, dass wir dadurch unseren bekanntermaßen viel zu hohen Fleischkonsum reduzieren.

Und nein: der vegetarische Landwirtschaftsminister will niemand sein Fleisch wegnehmen. Bei mir ist es einfach so, dass ich bis zu meinem 16. Lebensjahr schon genug Fleisch für ein ganzes Leben gegessen habe. Aber ich weiß zugleich, dass mein Gemüse auch Tierhaltung braucht. Sie ist Teil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft – und deshalb sind wir dabei, die Tierhaltung zukunftsfest machen.

Meine Damen, meine Herren,

genug geschwätzt. Ich bin gespannt, was für neue Ideen und Produkte die Biofach zu bieten hat. Ich wünsche uns allen eine erfolgreiche Messe.

Die Biofach und die Vivaness sind eröffnet!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Nürnberg


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