Brasilien war und ist ein immens wichtiger Partner für Deutschland.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem 39. German-Brazilian Economic Meeting 2023, Belo Horizonte, Minas Gerais; Brasilien

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Ich freue mich sehr, heute hier zu sein – und auch, dass Sie hier bei den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen ein Thema in den Mittelpunkt stellen, das mit das wichtigste überhaupt ist: Nachhaltigkeit.

Nachhaltig bedeutet nicht nur, die Interessen der Gegenwart mit den Interessen der Zukunft in Einklang zu bringen. Es bedeutet auch, Gutes zu tun, fair zu wirtschaften und damit Geld zu verdienen. Und deshalb ist nachhaltige Wirtschaft nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Und es liegt an uns, der Politik wie auch der Wirtschaft, diese Chance am Schopfe zu packen.

Nachhaltigkeit ist aber nicht nur Herausforderung und Chance – es ist auch unser Auftrag. Wir erleben weltweit, dass die Folgen der Erderhitzung und des Verlusts an Biodiversität immer mehr zu einer existenziellen Herausforderung für die Land- und Forstwirtschaft werden – und damit auch für unser aller Ernährung. Für bis zu 80 Prozent des weltweiten Rückgangs an biologischer Vielfalt sind die globalen Agrar- und Ernährungssysteme verantwortlich. In Deutschland geht etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen auf unser Agrar- und Ernährungssystem zurück.

Hinzu kommt, dass der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine uns schmerzhaft gezeigt hat, wie problematisch einseitige Abhängigkeiten werden können – gerade, wenn es um die Ernährungssicherung geht.

Aus all dem leitet sich ein Auftrag ab:

  • Der Wandel hin zu einer nachhaltigen und krisenfesten Land- und Forstwirtschaft.
  • Der Wandel hin zu Agrar- und Ernährungssystemen, die unser Klima, Böden, Wälder und Wasser schützen

– damit wir sie auch morgen noch nutzen können.

Denn es geht nicht nur ums Schützen, es geht ausdrücklich auch ums Nutzen – doch beides in einer nachhaltigen Balance.

Anrede,

und da Nachhaltigkeit unser Auftrag ist, auch in Verantwortung vor unseren Kindern und kommenden Generationen, erwächst daraus eine weitere Pflicht: die der Partnerschaft!

Das Klima und unsere Lebensgrundlagen können wir nur gemeinsam schützen – in einem Verbund mit starken, vertrauensvollen Partnern. Deshalb sind Partnerschaften auch selbst Teil der Agenda 2030, um die Nachhaltigkeitsziele gemeinsam zu erreichen!

Brasilien war und ist ein immens wichtiger Partner für Deutschland. Es ist auch schon lange ein Schwerpunkt der internationalen Zusammenarbeit meines Hauses. Brasilien kann weltweit einen entscheidenden Unterschied machen beim Waldschutz und beim Erhalt der Biodiversität.

Es ist eines der artenreichsten Länder dieser Erde. Brasilien verfügt mit dem Amazonas-Regenwald über eines der größten und wertvollsten Waldgebiete unserer Erde. Damit nimmt Brasilien beim Klimaschutz, beim Schutz der Artenvielfalt und darüber auch bei der globalen Sicherung der Ernährung eine Schlüsselposition ein.

Es ist daher ein großes Zeichen der Hoffnung, dass Staatspräsident Lula bei der internationalen Klimakonferenz COP 27 im vergangenen November angekündigt hat, dass Brasilien beim globalen Klimaschutz und Waldschutz wieder eine Führungsrolle übernehmen will.

Anrede,

dieses Bekenntnis zum Klima- und Waldschutz ist für mich ein positives Vorzeichen für den weiteren Ausbau unserer guten Zusammenarbeit mit Brasilien. Ich bin begeistert, wie schnell es uns gelungen ist, gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Favaro die ersten Punkte für eine Intensivierung unserer Kooperation zu umreißen. Konkret geht es

  • um den Neustart der Arbeitsinitiative Agribusiness und Innovation,
  • um eine Neuauflage unseres Deutsch-Brasilianischen Agrarpolitischen Dialogs,
  • und um die Fortführung der Deutsch-Brasilianischen Kooperation für eine nachhaltige Bioökonomie.

Die Arbeitsinitiative Agribusiness und Innovation feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen.

Wir haben uns darauf verständigt, dass wir diese erfolgreiche Initiative mit neuem Impuls und einer neuen gemeinsamen Zielrichtung weiterführen werden. Wir möchten, dass die Initiative künftig noch stärker als bisher einen Beitrag zu einem nachhaltigen Wandel der Agrar- und Ernährungssysteme leistet. Dafür braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft. Wir wollen aber künftig auch weitere Akteure entlang der Wertschöpfungs- und Lieferkette "vom Acker bis zum Teller" in die Arbeitsinitiative einbinden. Denn auch das ist Nachhaltigkeit: eine breite Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Neben der Arbeitsinitiative Agribusiness ist der Agrarpolitische Dialog (APD) seit 2021 eine zentrale Säule unserer Zusammenarbeit. Deshalb planen wir auch hier einen Neustart unter etwas anderen Vorzeichen. Wir möchten künftig in unserem APD mit beiden für Landwirtschaft zuständigen Ministerien in Brasilien zusammenarbeiten,

  • dem Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA)
  • und dem Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung und Familienlandwirtschaft (MDA).

Wir möchten den APD auch inhaltlich stärker an die aktuellen Herausforderungen anpassen. Deshalb werden wir uns konkret über nachhaltige, entwaldungsfreie Lieferketten verständigen.

In der Europäischen Union tritt in Kürze eine Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten bei Agrarprodukten in Kraft. Wir begrüßen diese Verordnung, auch weil wir damit als Konsumenten unserer eigenen Verantwortung zum Waldschutz gerecht werden können.

Brasilien war lange Zeit Vorreiter bei der Reduktion der Entwaldung. Erfolgsfaktoren waren dabei unter anderem eine konsequente Überwachung und Strafverfolgung, die Anerkennung indigener Territorien und eine dynamische Zivilgesellschaft. Brasilien hatte es geschafft, die wirtschaftliche Entwicklung und die landwirtschaftliche Produktion von der Entwaldung zu entkoppeln. An diese Erfolge in Brasilien möchten wir wieder anknüpfen und die Gründe für Entwaldung gemeinsam zielorientiert angehen. Der APD schafft dafür einen adäquaten Rahmen.

Daneben werden wir uns auch über den ökologischen Landbau und Agrarökologie verständigen. In Deutschland wollen wir bis 2030 den Anteil von Ökolandbau auf 30 Prozent erhöhen – wie so eine Umstellung gelingen kann, ist sicherlich auch für Brasilien interessant.

Umgekehrt können wir eine Menge von Brasilien lernen, wenn es um regionale Produktions- und Versorgungsstrukturen geht. Denn bei der Durchsetzung des Rechts auf Nahrung ist Brasilien ein Vorreiter. Ich begrüße deshalb sehr, dass der CONSEA, der nationale Ernährungsrat, als Dialogplattform zwischen Zivilgesellschaft und Regierung unter der neuen Regierung wiederaufgenommen wurde.

Dieser Ernährungsrat hat in der Vergangenheit großes geleistet. Er hat Vorbildcharakter für viele Länder – auch für uns in Deutschland, wo es seit 2016 Ernährungsräte gibt. Wir wollen bei diesem Thema eng zusammenarbeiten. Ich habe mir deshalb hier vor Ort einen Stadtgarten angeschaut, in dem Lebensmittel für den lokalen Konsum produziert werden. Gemeinsam mit dem örtlichen CONSEA, mit Vertretern der der Kommune, des Bundesstaates und Kleinbauern haben wir uns vor Ort informiert, wie alles ineinandergreift: vom Acker bis auf den Teller.

Und eben komme ich aus einer Schule, der Escola Estadual Barão do Rio Branco. Dort kommt das gesunde Essen auf den Tellern aus dem Stadtgarten. Wenn ich solche Beispiele sehe, weiß ich, dass wir hier von Brasilien noch sehr viel lernen können!

Auch die Bioökonomie ist ein wichtiges Thema unserer Zusammenarbeit. Wir können mit dem Aufbau einer nachhaltigen Bioökonomie so mancher Herausforderung begegnen:

  • Der globalen Sicherung der Ernährung,
  • der Reduktion von Treibhausgasen zum Schutz unseres Klimas,
  • und der Bereitstellung nachhaltig produzierter Güter und Energie.

Dabei gilt für uns heute wie früher das Prinzip "Food First".

Eine Bioökonomie kann aber zu allen Zielen gleichzeitig beitragen, wenn wir ihren Ausbau an Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz ausrichten. Aber diese Ausrichtung kann nur gemeinsam mit starken internationalen Partnern gelingen – wie Brasilien einer ist.

Anrede,

ich möchte abschließend noch ein paar Worte zum MERCOSUR- Abkommen sagen, denn unsere Handelsbeziehungen sollen zu Klimaschutz und Ernährungssicherung beitragen.

Die Erfahrung des letzten Jahres hat uns allen gezeigt, dass wir auch im Bereich des Agrarhandels Abhängigkeiten von einzelnen Ländern reduzieren müssen. Deshalb wollen wir einerseits regionale Wertschöpfungsketten stärken und uns andererseits beim Import und bei Absatzmärkten breiter aufstellen. Wir haben deshalb ein starkes Interesse am MERCOSUR- Abkommen – weil wir es als Chance sehen, unsere politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit diesen Ländern zu festigen.

Was heute aber auch deutlich geworden sein sollte: Ich begreife Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Chance, als Motor für Innovationen und deshalb müssen Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer als zentrales Handlungsprinzip berücksichtigt werden.

Insbesondere auch in unseren Handelsabkommen, die ich als Hebel verstehe, um Nachhaltigkeit als Standard auch international zu etablieren. Das MERCOSUR-Abkommen enthält in seinem Nachhaltigkeitskapitel wichtige Vereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen.

Was wir jetzt noch brauchen, ist eine gemeinsame Vereinbarung darüber, wie wir die Anforderungen an Nachhaltigkeit weiterentwickeln und vor allem ihre wirksame Umsetzung sicherstellen. Ich bin optimistisch, dass uns dies bald gelingen kann, weil ich ein beidseitiges Interesse an einer solchen Vereinbarung sehe. Denn mit dem Regierungswechsel ist die Nachhaltigkeit endlich wieder zurück auf der brasilianischen Agenda! Und das ist eine wirklich gute Nachricht in diesen nicht einfachen Zeiten.

Anrede,

ich werde diese wichtigen Themen nun leider nicht mehr gemeinsam mit Ihnen diskutieren können, da mein Zeitplan dies nicht zulässt. Ich bedauere dies sehr, hoffe aber dass wir diese Diskussion bei anderer Gelegenheit fortführen können.

Ihnen wünsche ich nun eine interessante Diskussion und weiterhin eine erfolgreiche Veranstaltung.

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Belo Horizonte, Minas Gerais; Brasilien


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