Wir sind beim Umbau der Tierhaltung jetzt soweit gekommen, wie es Ihnen andere immer nur versprochen haben.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Deutschen Bauerntag am 28. Juni 2023 in Münster

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

ein Bauerntag ist ja auch immer ein bedeutendes mediales Ereignis – und zwar schon bevor er überhaupt beginnt.

Die tägliche Presseschau auf meinem Arbeitstisch ist dann schon im Vorfeld ein paar Seiten dicker. Und da habe ich kürzlich ein Interview mit Präsident Rukwied gelesen, dessen Überschrift mir kurz die Sprache verschlagen hat. Ich zitiere: "Wir Bauern können mit der Arbeit der Ampel nicht zufrieden sein – aber der Minister macht einen saumäßig guten Job!" Ich war genauso perplex wie Sie gerade im Saal. Aber bevor Sie jetzt über ihren Präsidenten herfallen: Ich kann sie beruhigen – meine Augen haben mir einen Streich gespielt.

Da war der Wunsch Vater meines Gedankens. Aber am Ende gilt ohnehin, was ein großer Philosoph – nämlich Horst Seehofer – nach Terminen mit Bäuerinnen und Bauern gesagt hat: "Nicht gemeckert, ist genug gelobt". Oder wie die Schwaben sagen: "Ned gschimpft isch gnua globt".

Meine Damen und Herren,

wir treffen uns hier in hitzigen Zeiten – und damit meine ich ausnahmsweise nicht das Klima, sondern die Stimmung in unserem Land. Ich habe den Eindruck, dass momentan jede – mit etwas gutem Willen – lösbare Meinungsverschiedenheit das Potenzial hat, ganz bewusst zum Kulturkampf gemacht zu werden. Und das gilt leider für verschiedene Seiten.

Gasheizung, Wärmepumpe, Radfahren, Auto, Parkplätze, Gendern, Fleischkonsum, Stadt und Land.

Die einen tun so, als ob man zurückgehen könne in die vermeintlich gute alte Zeit. Da heißt es wahlweise, man könne sich Klimaschutz nicht leisten oder er sei irrelevant. Die anderen dagegen kleben sich hier und da an – und tragen damit dazu bei, dass das berechtigte Anliegen, das Klima und damit uns alle zu schützen, schweren Schaden nimmt. Auf dieser Polarisierung liegt ein Segen. Wir brauchen mehr Stimmen der Vernunft und weniger Radikalisierung an den Rändern, damit die Zukunft unseres Landes eine gute wird.

Meine Erfahrung ist: Wenn man sich an einen Tisch setzt, Argumente austauscht und guten Willens ist, dann wird man hinterher immer schlauer und verständiger sein als zuvor. Aber gerade das wird heute erschwert, weil wie wild so genannte "alternative Fakten" verbreitet werden und Stimmung gemacht wird.

Da wird man morgens zum Beispiel von der Meldung überrascht, dass die Regierung angeblich plane, den Menschen nur noch 10 Gramm Fleisch am Tag zu gönnen. Allein schon die Scheibe Wurst, die ich als Kind vom Metzger bekommen habe, war schon mehr als 10 Gramm. Ich lese das und denke mir: Offenkundiger Blödsinn, das sieht man ja schon an der Quelle – nämlich ein Journalist, den die BILD rausgeworfen hat, weil er selbst dieser Zeitung zu arg war. Und dann stellt sich raus, dass es sich um eine von vielen Überlegungen von Wissenschaftlern der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) handelt, die sich über Ernährung und die Gesundheit des Planeten Gedanken machen. Ich betone: Überlegungen von Wissenschaftlern, keine Position der DGE, die im Übrigen unabhängig ist. Aber was landet am Ende in den Medien und damit der Öffentlichkeit? Folgende Schlagzeile: "Maximal 10 Gramm Fleisch pro Tag, Özdemir plant Fleischverbot" Und auch seriöse Medien greifen das dann auch.

Das ist dann die Gemengelage, in der wir alle gemeinsam vernünftige Debatten führen sollen. Ich bin dann geneigt zu sagen: Glauben Sie nicht alles, was andere an Blödsinn denken!

Apropos Fleisch: Ich habe in meiner Jugend so viel Fleisch gegessen, dass es für ein ganzes Leben reicht – und aufgehört habe ich nur deshalb, damit für allen anderen auch was übrigbleibt. Wegen mir kann man morgens, mittags, abends ausschließlich Fleisch essen, wenn es einem bekommt. Es darf jede und jeder so viel Fleisch essen, wie sie oder er möchte. Ob es zwingend gesund ist, steht auf einem anderen Blatt.

Aber darüber hat der Bundeslandwirtschaftsminister niemanden Vorschriften zu machen. Der Bundesverkehrsminister sagt Ihnen auch nicht, welches Verkehrsmittel Sie benutzen sollen. Er versucht zu ermöglichen, dass Sie eine Auswahl haben – genau darum geht es auch mir. Und die Sportministerin sagt Ihnen auch nicht, welchen Sport Sie ausüben sollen. Das alles entscheiden Sie ganz allein.

Wenn aber ein wachsender Teil unserer Bevölkerung immer wieder mit solchen so genannten "alternativen" Behauptungen konfrontiert wird und sie am Ende auch noch glaubt, dann wird es ernsthaft gefährlich.

Wo soll das enden? Dass unsere Kinder in Zukunft mit der Mathelehrerin darüber streiten, ob 1 und 1 tatsächlich 2 ergibt? Wir sollten darüber streiten, was aus Fakten folgt – aber bitte nicht so, dass jeder sich seine eigenen Fakten konstruiert. Erst die Information, dann die Meinung, nicht umgekehrt. Mein Credo ist: Ich gehe in ein Gespräch mit der Voraussetzung, dass der andere Recht haben könnte. Ganz nach dem Philosophen Hans-Georg Gadamer. Aber das muss eben für alle am Tisch gelten, nur dann kommt was Gescheites dabei raus.

In diesem Sinne ist sachliche, fundierte Kritik immens wichtig, denn sie macht politische Entscheidungen besser. Ich weiß nicht alles und schon gar nicht alles besser. Rausgehen, zuhören und mit den Leuten sprechen – und anschließend gerne schlauer zurückkommen. Es wäre sicher nicht schlecht, wenn noch mehr Menschen in diesem Land, gerne auch in der Politik, dieses Prinzip pflegen würden.

Liebe Bäuerinnen und Bauern,

ich verstehe die Verärgerung in Ihren Reihen, wenn ausgerechnet in einer der umsatzstärksten Wochen vor vergifteten Erdbeeren gewarnt wird, obwohl Grenzwerte nicht überschritten sind.

Gleichzeitig bringt es uns aber auch nicht wirklich weiter, wenn Hunger und Ernährungskrisen sehr häufig damit beantwortet werden, dass Nachhaltigkeit mal wieder hintenanstehen und man einfach nur mehr produzieren müsse. Und zwar ungeachtet der Folgen für Boden und Wasser, Artenvielfalt und Klima – und damit ungeachtet der Folgen für die Ernährungssicherheit morgen und übermorgen.

All das trägt nicht gerade zum gegenseitigen Verständnis bei.

Ich sage das hier aber in aller Klarheit: Ich habe mich in meinem Amtseid nicht einzelnen Interessengruppen, Nichtregierungsorganisationen und auch nicht einer Partei verpflichtet. Meine Pflicht gilt einzig und allein dem deutschen Volk – seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm wenden. Und damit verbinde ich zugleich einen Politikstil, bei dem es nicht immer darum gehen kann, dass 51 Prozent entscheiden und die anderen 49 Prozent zu folgen haben.

Im Bereich der Landwirtschaft und Ernährung braucht es bei grundsätzlichen Fragen größere Mehrheiten, damit Entscheidungen breit und dauerhaft getragen werden. Nur dann kommt man gemeinsam Schritt für Schritt voran – und da sind wir alle gefordert. Das bedeutet nicht, dass wir immer einer Meinung sein müssen – das sind wir offenkundig nicht. Aber es muss Schluss sein mit überholten und doch eigentlich überwundenen Gegensätzen, die immer wieder rausgeholt werden, wenn einem die Richtung und das Tempo von Veränderungen nicht passen – und zwar auf beiden Seiten.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) hat uns diesen Weg doch gezeigt. Und das nicht nur bei den großen Zukunftsfragen in der Landwirtschaft und bei Ernährung, sondern auch mit Blick auf die Überzeugungskraft unserer Demokratie – denn auch dafür steht die breit zusammengesetzte ZKL. Lassen Sie uns das weiterhin als unsere gemeinsame Richtschnur für gute Politik nehmen.

Liebe Landwirtinnen und Landwirte,

Schritt für Schritt notwendige Veränderungen gestalten. Das ist mein Anspruch an eine seriöse, verlässliche und vertrauensvolle Politik. Und wenn ich mir die Entwicklung in Ihrem Verband anschaue, ist es dort doch nicht anders.

Ich hatte heute Morgen die große Ehre und Freude mich mit ihrem Fachausschuss "Unternehmerinnen in der Landwirtschaft" auszutauschen. Liebe Frau Schulze Bockeloh, vielen Dank, dass Sie und Ihre Kolleginnen sich für mich Zeit genommen haben. Sie haben im vergangen Jahr eine tolle, neue Aufgabe übernommen. Sie geben den Frauen in der Landwirtschaft eine starke Stimme! Dass dies auch nötig ist, hat unsere Studie zu Frauen in der Landwirtschaft aus dem vergangenen Jahr klar aufgezeigt. Frauen auf den Höfen jonglieren häufig mit etlichen Bällen gleichzeitig. Arbeit im Betrieb, Versorgung der Kinder, Partnerschaft, die Pflege von Familienangehörigen und häufig noch Engagement im Ehrenamt – das reibt auf und geht schließlich zu Lasten der körperlichen und seelischen Gesundheit.

Ohne Frauen geht nichts auf den Höfen und in den Ställen. Im Gegenteil: Sie sind das Rückgrat unserer Landwirtschaft. Oft sind sie es, die Innovationen anstoßen und mit umsetzen. Oder sie erschließen neue Standbeine für die Betriebe, wie zum Beispiel in der Direktvermarktung. Deshalb ist es wichtig, dass das Entscheidungen auf den Höfen gleichberechtigt getroffen werden. Und dabei geht es nicht allein um die ökonomische Zukunft der Betriebe, sondern auch um die grundsätzliche Stellung der Frauen in unserer Gesellschaft. Es geht um Anerkennung, um Wertschätzung, um Gleichberechtigung – übrigens auch darum, den Frauen einfach mal Danke zu sagen. Denn all das spielt eine Rolle, wenn sich junge, engagierte und qualifizierte Frauen Fragen stellen wie:

  • Möchte ich die Hofnachfolge übernehmen?
  • Möchte ich einen eigenen Betrieb führen wollen?

Mit dem Konzept "Zukunftsbauer" – ich denke mir die Zukunftsbäuerin mal mit – haben Sie sich als gesamter Verband auf den Weg gemacht, neue Impulse zu setzen. Und natürlich hoffe ich, dass die Saat aufgeht – und künftig mehr und mehr Zukunfts-Bäuerinnen die Geschicke auf den Höfen übernehmen.
Und ausdrücklich auch Höfe mit Tierhaltung – und das führt mich zu meinem nächsten Thema.

In der Süddeutschen Zeitung stand kürzlich sinngemäß, der Landwirtschaftsminister müsste bei der Tierhaltung jetzt endlich mal aufräumen, die Landwirtschaft sofort umkrempeln und dann wäre die Welt gerettet. So einfach ist das für all jene, die offenkundig ignorieren, dass hinter jedem Tier ein Hof, eine Familie und der ländliche Raum steht! Ja, wir müssen Veränderungen auf den Weg bringen, um Lebensgrundlagen und Wirtschaftlichkeit zu bewahren. Dass wissen Sie in dieser von Schweinehaltung geprägten Region und angesichts der Lage auf den Märkten sehr gut. Veränderungen, ja – aber doch nicht mit dem Fallbeil!

Konrad Adenauer hat einmal gesagt: "Eine der Hauptsachen in der Politik ist, dass man nicht Phantasien oder Utopien nachläuft, sondern, genauso wie es der Handwerker, der Kaufmann, der Landwirt in seinem Beruf tun muss, klar die realen Gegebenheiten und Möglichkeiten erkennt." Also: Wer die Revolution möchte, wird die Landwirtschaft genauso an die Wand fahren, wie jene, die noch in der Vergangenheit leben.

  • Es geht nur Schritt für Schritt, verlässlich, planungssicher.
  • Es geht nur mit guten Kompromissen!

Und damit schaffen wir eine Tierhaltung, die zukunfts- und krisenfest ist – und das ist sie nur dann, wenn sie nicht nur tier- und klimagerecht ist, sondern Landwirtinnen und Landwirten auch eine wirtschaftliche Perspektive bietet.

Und zur schmerzhaften Wahrheit gehört: Man hätte diese Veränderungen und Kompromisse vor ein paar Jahren einfacher und günstiger haben können. Damals war es einfacher und günstiger. Als der Bericht der Borchert Kommission vorgelegt wurde, waren die Zinsen bei 1 Prozent und die Inflationsrate lag bei 0,5 Prozent. Die finanzielle Lage des Staates war eine wesentlich bessere als heute. Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt – und weder ein Olli Kahn noch ein Manuel Neuer standen im Tor. Das Tor war vielmehr leer – und trotzdem hat die damalige Regierung sich geweigert, den Ball im Tor zu versenken. Jetzt ist die Lage eine ganz andere: 7 Prozent Inflation, höhere Lebensmittelpreise, Krieg in Europa. In dieser Lage müssen wir jetzt aber dennoch zu guten Lösungen kommen. Die Tierhalter mussten schon viel zu lange warten – es ist längst Zeit, dass es endlich angepackt wird.

In der Vergangenheit wurde nur zugeguckt, wie die Höfe sterben und jetzt gibt so mancher von der politischen Seitenlinie den Schlaumeier. Dabei waren die Fakten doch früher auch schon eindeutig: Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe von rund 60.000 auf rund 32.000 Betriebe fast halbiert. Ich war in den 2010er Jahren lange Parteivorsitzender – ich weiß aus sicherer Quelle, dass in diesen Zeiten keine Ampel regiert hat. Auch Grüne haben da nicht im Bund regiert, denn darum geht’s ja eigentlich, machen wir uns nichts vor. Die Grünen, die sich angeblich alle vegan ernähren, angeblich den ganzen Tag kiffen, angeblich die Tierhaltung abschaffen wollen – und dabei auch noch ständig ihr Geschlecht wechseln. Habe ich irgendein Klischee noch vergessen?

Um die Tierhaltung abzuschaffen, braucht’s doch gar keine Grünen – das schafft die CSU doch ganz alleine! In Bayern hat sich die Zahl der Schweine haltenden Betriebe im gleichen Zeitraum von 20.000 auf 9.000 Betriebe sogar mehr als halbiert. In 10 Jahren mussten mehr als die Hälfte der Höfe aufgeben – und auch dort haben keine Grünen regiert. Angesichts dieser Zahlen lässt die CSU doch das Herz eines jeden radikalen Veganers höherschlagen. Und die dortige Landwirtschaftsministerin schreibt mir tatsächlich Briefe, um die massiven Folgen des Strukturbruchs in der Tierhaltung zu beklagen.

Ein kluger Mensch hat mal gesagt: "Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun." Diesen Satz kann sich die Kollegin aus Bayern gerne über den Türrahmen hängen – dann geht ihr nächster Brief vielleicht an ihren Ministerpräsidenten oder an sich selbst.

Machen wir uns bitte ehrlich: Man wird die jahrelang verschleppten Probleme der Tierhaltung nicht mit einem Fingerschnippen lösen können. Der Bundesagrarminister wird auch nicht die Essgewohnheiten der Menschen verändern. Ja, wenn das denn so einfach ginge: Warum machen es denn Herr Söder und Frau Kaniber nicht in ihrem Bundesland? Man kann und soll mich kritisieren - aber lassen Sie uns bitte stets bei den Fakten bleiben. Und sind Zahlen, wie sich die Tierhaltung in den 10er Jahren entwickelt hat, recht eindeutig.

Zur Wahrheit gehört auch: Der Rückgang der heimischen Erzeugung führt nicht – wie gerne und falsch behauptet wird – zu einem stärkeren Import. Im Gegenteil, der sinkt: Allein bei Schweinefleisch gab es in den vergangenen fünf Jahren einen Rückgang von minus 23 Prozent! Und parallel dazu essen die Menschen jedes Jahr weniger Fleisch – und das auch nicht erst, seitdem der Bundesminister Cem Özdemir heißt. Der setzt sich sogar erfolgreich dafür ein, dass wir aus Deutschland wieder Schweinefleisch nach Südkorea exportieren können. Und ich kämpfe dafür, dass die Regionalisierungsstrategie auch in China greift, damit das Land wieder ein Absatzmarkt für deutsches Schweinefleisch wird.

Es tut sich etwas in unserer Gesellschaft: Immer mehr Menschen wollen sich anders, bewusster und ausgewogener ernähren. Gerade Jüngere haben die Auswirkungen ihres Konsums auf Klima und Umwelt immer mehr Blick. Und es würde mich nicht wundern, wenn es auch bei manchen von Ihnen an Weihnachten zuhause zusätzlich auch ein vegetarisches Gericht gibt, weil die Kinder das sich so wünschen. Und all das zusammen genommen zeigt doch, wie groß der Handlungsdruck ist, um die deutsche Tierhaltung krisenfest zu machen. Nicht zuletzt, indem wir einige wichtige Fragen beantworten:

  • Setzen wir vermehrt auf Klasse und beste Qualität?
  • Können wir es uns etwas anderes überhaupt leisten?

Fragen, denen sich auch Spanien angesichts der dramatischen Probleme mit Klima und Wasser früher oder später wird stellen müssen.

  • Und ganz entscheidend: Ist Politik und Gesellschaft diese Qualität auch etwas wert?

Bei meinen Hofbesuchen habe ich eines immer wieder gehört: "Herr Minister, wir können vieles machen – aber es muss jemand bezahlen, damit wir davon leben können." Genauso ist es! Es muss jemand bezahlen. Landwirtinnen und Landwirte sind veränderungsbereit – aber sie brauchen eine verlässliche Perspektive, in der diese Veränderungsbereitschaft auch wirtschaftlich gewürdigt wird. Und genau daran arbeiten wir!

Wir sind beim Umbau der Tierhaltung jetzt soweit gekommen, wie es Ihnen andere immer nur versprochen haben. Ich habe nie behauptet, dass wir am Ziel sind. Ich weiß, wie manche von Ihnen auf Ihren Höfen um die Zukunft kämpfen. Aber wir haben den Startschuss gegeben und sind losgelaufen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur staatlichen Tierhaltungskennzeichnung vor zwei Wochen im Deutschen Bundestag haben wir in der landwirtschaftlichen Tierhaltung wichtige Weichen gestellt.

Die Tierhaltungskennzeichnung ist ein Baustein des Umbaus der Tierhaltung, ich komme gleich noch zu den anderen. Wir haben eine transparente Haltungskennzeichnung beschlossen, staatlich verpflichtend und staatlich garantiert. Damit können Verbraucherinnen und Verbraucher verlässlich entscheiden, welches Fleisch aus welcher Haltung sie kaufen wollen. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, dass die Leistungen der tierhaltenden Betriebe für mehr Tierwohl an der Ladentheke verlässlich sichtbar werden – und dass diese Leistungen dann auch fair entlohnt werden können.

Was mir an dieser Stelle auch wichtig ist: Es ist nicht einfach ein Gesetz, das im Ministerium von Beamten geschrieben wurde. Vielmehr ist es das Ergebnis intensiver inhaltlicher und fachlicher Diskussionen. Es gab im Vorfeld konkrete Vorschläge, die zu Änderungen und Verbesserungen geführt haben.

Deshalb danke ich ausdrücklich dem Deutschen Bauernverband und den weiteren landwirtschaftlichen Verbänden. Sie haben, genauso wie die Länder und die Koalitionsfraktionen, Ihre Expertise in den vergangenen Monaten in die Debatten eingebracht. Das hat unser Gesetz besser gemacht. So funktioniert Demokratie und so entstehen Ergebnisse, die dann auch breit getragen werden.

Und natürlich geht es weiter mit der Haltungskennzeichnung. Folgen werden die Ausweitung auf die Außerhausverpflegung, also auch auf die Gastronomie, auf verarbeitete Produkte, die Einbeziehung des Lebenszyklus und die Berücksichtigung weiterer Tierarten. Und es wird dabei übrigens keineswegs so sein, dass Ware aus anderen Ländern immer ungekennzeichnet sein wird. Denn auch ausländische Unternehmen sehen die Vorteile der Verbraucherinformation. Wir haben eine freiwillige Teilnahme am deutschen Tierhaltungskennzeichen vorgesehen.

Die Tierhaltungskennzeichnung hat übrigens eine Zwillings-Schwester, nach der ich zurecht häufiger gefragt werde: die Herkunftskennzeichnung! Alles, was ich national an Herkunftskennzeichnung realisieren kann, bringe ich gerade auf den Weg. Gerade die kleinen und mittleren Höfe in Deutschland brauchen eine echte Chance, um am Markt bestehen zu können. Und die Verbraucherinnen und Verbraucher sollten Haltung und Herkunft erkennen können. Mein Haus hat einen nationalen Verordnungsentwurf erarbeitet, in dem die Herkunftskennzeichnung bei frischem, gekühltem und gefrorenem Fleisch von Schwein, Schaf, Ziege und Geflügel auch auf nicht vorverpacktes Fleisch ausgeweitet wird. Das betrifft somit unverarbeitetes Fleisch, das zum Beispiel an der Fleischtheke angeboten wird. Den Kabinettsbeschluss hat es bereits geben. Anschließend wird der Entwurf im Bundesrat beraten und soll noch im Juli verabschiedet werden.

Wir brauchen aber auch EU-weit einheitliche Regeln. Ich setze mich daher mit Nachdruck für eine EU-weite Herkunftskennzeichnung ein. Außerdem arbeiten wir daran, die Herkunftskennzeichnung auf die Außerhaus-Verpflegung auszuweiten. Ich habe ja bereits erwähnt, dass ich manchmal Post von Landesministerinnen und Landesministern bekomme. Vielleicht wäre auch mal die EU-Kommissionspräsidentin von der EVP eine gute Adressatin für den einen oder anderen Brief. Das Porto kann ich gerne übernehmen.

Aber zurück zur Tierhaltungskennzeichnung – denn sie steht nicht allein, sondern ist Teil es umfassendes Pakets. Denn wir haben auch baurechtliche Anpassungen beschlossen. So können jetzt Stallumbauten endlich erleichtert und Baugenehmigungen schneller erteilt werden. Wir haben uns auf der letzten Agrarministerkonferenz und Umweltministerkonferenz geeinigt, immissionsschutzrechtliche Vorgaben zu lockern. Dafür danke ich den Agrarministerinnen und Agrarministern, aber auch den Umweltministerinnen und Umweltministern der Länder ausdrücklich. Es gibt nachhaltige Vorgaben im Tier- und Immissionsschutz, damit Tierhaltung und Emissionsminderung Hand in Hand gehen. So kann der Um- oder Neubau von Ställen mit höheren Tierhaltungsstandards schneller möglich werden.

Und schließlich haben wir – und das ist sehr wichtig – ein Bundesprogramm Tierhaltung entwickelt. Dieses Bundesprogramm ist zum Start mit einer Milliarde Euro ausgestattet für die Zukunft der Schweinhaltung. Keine Sorge, dafür erwarte ich keinen Beifall – nicht gemeckert ist gelobt genug. Aber auch da kann ich uns den Hinweis nicht ersparen: Ich habe Vorgängerregierungen nicht daran gehindert, hier mal ins Rollen zu kommen. Wo könnten wir heute schon sein, wenn wir früher losgelegt hätten bei den Schweinen? Dann könnten wir heute schon weiter gehen mit den anderen Nutztieren – und am Ende der Legislatur wäre der gesamte Bereich umgebaut. Aber so ist es nicht – und wir machen jetzt gemeinsam das Beste daraus.

Es ist diese Bundesregierung, die für den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung in dieser Legislatur so viele Mittel bereitstellt wie noch keine andere zuvor. Mit unserem Bundesprogramm unterstützen wir Investitionen, damit Höfe den Umbau der Ställe finanzieren können. Und wir unterstützen Landwirtinnen und Landwirte damit auch bei den laufenden Kosten für mehr Tierwohl – das ist neu! Jeden Betrieb, der sich jetzt auf den Weg macht, wollen wir für 10 Jahre fördern. Das ist ein zentraler Punkt, denn Kredite für neue Ställe laufen meist sehr lange. Darum schaffen wir jetzt Planungssicherheit und Verlässlichkeit.

Und ja, es stimmt: Die Borchert-Kommission hat sogar 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau der Tierhaltung vorgeschlagen. Aber diese Schätzungen beziehen sich auf ALLE Tierarten und ALLE Haltungsformen, während unser Bundesprogramm zunächst für die Schweinehaltung vorgesehen ist.

Man fragt den Marathonläufer nach 10 Kilometern doch auch nicht, warum er nicht schon längst am Ziel ist. Jochen Borchert hat kürzlich gesagt, er habe den Eindruck, dass der Bundeslandwirtschaftsminister versuche, "die Transformation so zu gestalten, dass sie möglich wird." Möglich machen! Das trifft den Nagel auf den Kopf, denn es geht jetzt vor allem darum, die Bedingungen zu schaffen, dass Veränderungen überhaupt möglich werden. Deshalb gehen wir bewusst Schritt für Schritt vor – und machen wir uns doch nichts vor: Nur deshalb kommen wir doch überhaupt voran.

Ich kämpfe dafür, dass wir so viel Mittel bereitstellen, wie für den zukunfts- und krisenfesten Umbau der Tierhaltung notwendig ist. Ob es mir gelingt? Ich weiß es nicht. Ich mache ihnen kein X für ein U vor. Ihnen ist zu oft von meinen Vorgängerinnen und Vorgängern alles Mögliche versprochen worden, wovon sich dann nur ein Teil materialisiert hat. Ich kann noch nicht hexen, aber hart arbeiten und beharrlich sein, wenn es sein muss, auch nerven. Es ist sicher noch ein längerer Weg, bis wir die finale Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung verlässlich umgesetzt haben. Aber auch da haben wir schon angefangen und uns endlich auf den Weg gemacht. Und auf diesem Weg gilt: Jeder Cent ist gut angelegtes Geld, nicht nur in die Zukunft der Tierhaltung, sondern auch in die ländlichen Räume. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man das Geld besser anlegen könnte – schon gar nicht in diesen Zeiten.

Im selben Atemzug setzen wir auf den Ausbau pflanzlicher Proteinquellen auf unseren Äckern. Wir wollen sie als Teil einer guten und gesunden Ernährung über unsere Ernährungsstrategie stärken. Mit unserer Eiweißpflanzenstrategie machen wir uns außerdem unabhängiger von Importen – und damit auch krisenfester. Der Markt für diese Lebensmittel wird kontinuierlich wachsen – darin steckt eine große Chance für unsere Landwirtschaft.

Gestern Abend saßen wir zusammen und ich haben einen Rundgang durch die Ausstellung gemacht – und ich war sehr beeindruckt. Da hat man nicht nur gesehen, was die deutsche Landwirtschaft traditionell auszeichnet, sondern auch, dass sie auch stets neue Entwicklungen und neue Märkte im Blick hat.

Das ist Unternehmertum: Man nimmt Risiken auf sich und manch einer gefährdet sogar seine Existenz als Unternehmer. Manch andere gehen neue Wege und sind sehr erfolgreich damit. Auch Präsident Rukwied hat ja mittlerweile die Kichererbse in seine Fruchtfolge integriert. Da war meines Wissens seine Tochter die treibende Kraft! Was ein weiterer Beleg wäre, dass Frauen wichtige Innovationen anstoßen und mit umsetzen – gerade wenn es um Nachhaltigkeit geht.

Und diese Innovationen und neuen Wege für mehr Nachhaltigkeit brauchen wir auch mehr denn je. Denn unser aller Zukunft hängt vor allem davon ab, dass wir bewahren und schützen, was wir zum Leben brauchen – und das ist immer noch Boden, Wasser, Luft, Klima und Artenvielfalt. Das war so, das ist so und das wird auch immer so bleiben. Das sind Ihre Produktionsgrundlagen, wo alles seinen Anfang nimmt – und auch weiterhin tun soll. Nicht nur in Ihrem Interesse, sondern im Interesse der gesamten Menschheit. Darum ist unsere gemeinsame Ausgangslage aus meiner Sicht erst einmal ganz klar: Wir müssen eine produktive Landwirtschaft betreiben und die Ernährung der Menschen sichern – ohne dabei die eigenen Lebensgrundlagen, die eigenen Produktionsgrundlagen zu zerstören.

Produktiv und ertragreich sein und zugleich ressourcenschonend – das muss das gemeinsame Ziel sein. Genau deshalb führen wir intensive Debatten darüber, wie wir Erträge sichern, uns an neue klimatische Bedingungen anpassen sowie Umwelt, Natur und Klima schützen können. Jeder öffentliche Debattenbeitrag zur Zukunft der Landwirtschaft sollte sich dieser Herausforderung stellen – sonst droht er, das Thema zu verfehlen. Das wird uns doch gerade jetzt im Sommer wieder schmerzlich bewusst.

Im Frühjahr gab es in vielen Regionen gut und regelmäßig ausreichend Niederschlag – da hatten wir noch alle die Hoffnung, dass wir in diesem Jahr vor Extremwetter wie Starkregen und einer Dürre verschont bleiben. Aber die Folge der Klimakrise ist eben auch, dass die Witterung extrem und unberechenbar ist, die Realität ist schon wieder eine andere. Wälder brennen und erste Landkreise schränken die Wasser-Nutzung ein. Und natürlich ist Wasser gerade für die Landwirtschaft das Lebenselixier überhaupt.

Eine aktuelle Prognos-Studie der Dürre-Jahre 2018/19 kommt zu dem Ergebnis, dass der Schaden der starken Trockenheit für die Landwirtschaft mit 7,8 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Das ist ein irrsinniger volkswirtschaftlicher Schaden. Das ist ein irrsinniger betriebswirtschaftlicher Schaden.

Hinter all dem stehen konkrete Höfe, Menschen, Lebensentwürfe. Sie haben vielleicht kürzlich das Video des Junglandwirts in Ausbildung gesehen. Dort zeigt er, wie Starkregen 25 Hektar Sojapflanzen quasi über Nacht "komplett platt" gemacht hat, wie er es ausdrückt. Und dann sagt er: "Das, was wir hier sehen, ist die Klimakrise. Das ist nicht irgendwie etwas Unvorhergesehenes, was einfach so passiert und worauf wir keinen Einfluss haben können, sondern das ist menschengemacht." Das sagt ein angehender Landwirt, der dieses Jahr den Hof seines Vaters übernehmen möchte. Das ist einer von vielen, einer von Ihnen.

Aber oft genug höre ich auch Klagen über Maßnahmen zum Schutz von Klima und Natur – und im nächsten Satz beklagt dieselbe Person dann Ernteausfälle wegen Trockenheit und Dürre. Das ist genau so sinnvoll, wie wenn eine Fußballmannschaft beim Stand von 0:2 auf Zeit spielt – und sich hinterher beim Schiedsrichter beklagt, dass es nicht mehr Nachspielzeit gab. Wir haben diese Nachspielzeit nicht.

Wir müssen unsere natürlichen Lebensgrundlagen besser schützen, um die Klima- und Biodiversitätskrise zu meistern. Es sind diese Krisen, die Ihre Arbeitsgrundlage und damit unsere Ernährungssicherheit gefährden. Unsere Ernährung muss nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen noch sicher sein. Und nicht nur der eben erwähnte Junglandwirt und ich haben Zweifel, dass das der Fall ist, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Das bedeutet sicher nicht, dass jeder Vorschlag perfekt ist. Aber wenn ich sehe, wie manche in Brüssel da gerade an Maßnahmen zum Schutz unserer Natur und Lebensgrundlagen sägen – dann geht es nicht mehr um Details, sondern ums Grundsätzliche. Natürlich muss man stets schauen, was auch praktisch umsetzbar ist.

Wolfgang Schäuble hat es kürzlich auf den Punkt gebracht, als er gefragt wurde, ob der Konservativismus den Anforderungen der heutigen Zeit noch gerecht werden könne. Er hat gesagt, dass er zwar ein Gegengewicht bilden müsse zum Trend des immer Schnelleren. Es dürfe aber andererseits eben nicht zur Folge haben, dass es gar nicht zu Veränderung kommt. Er hat es mit einem Zitat aus einem bekannten italienischen Roman auf den Punkt gebracht: "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert". Das ist der erneuerungsoffene Konservativismus eines Wolfgang Schäuble. Ich sage das auch mit Blick auf Debatten, die gerade in der größten demokratischen Opposition geführt werden, über ihre künftige Ausrichtung.

Ich wünschte mir, dass auch andere sich in diesem Konservativismus eines Wolfgang Schäuble wiederfänden, damit wir auf dieser Basis ordentliche Kompromisse schmieden können. Maß und Mitte, Besonnenheit und Brückenbauen. Aufeinander zugehen, nicht polarisieren. Da gäbe es dich nichts, was man nicht lösen könnte

Landwirte verstehen sich als Naturschützer!

Und in diesem Sinne ist Landwirtschaft auch immer Teil der Lösung. Doch damit sie Teil der Lösung werden kann, müssen wir auch erkennen, dass bestimmte Praktiken auch Teil des Problems sein könnte, da sie die Erderhitzung und Krise der Artenvielfalt verschärfen. Über die Wege dahin müssen wir diskutieren – sie müssen umsetzbar sein. Aber um über die Wege diskutieren zu können, brauchen wir eine verlässliche Verständigung über die Ziele – und diese Ziele müssen dann auch mal klar und verbindlich sein. Wir können nicht immer und immer wieder alles auf den Prüfstand stellen, denn dann rücken die Ziele immer weiter in die Ferne.

Auch beim nachhaltigen Pflanzenschutz müssen wir es gemeinsam schaffen, die Ziele zu erreichen – das betrifft auch die Sustainable Use Regulation (SUR), der europäischen Regulierung für Pflanzenschutz. Wir brauchen gute und praktikable Lösungen. Kein vernünftiger Mensch stellt sich gegen das Ziel, dem Einsatz von Pestiziden zu reduzieren – im Fall der SUR um 50 Prozent bis 2030. Wir befürworten ausdrücklich die Einführung eines EU-weit verbindlichen Reduktionsziels, zudem setzen wir uns ausdrücklich für eine weitere Harmonisierung der Vorschriften zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf EU-Ebene ein. Das ist für unsere Landwirtschaft auch deshalb wichtig, weil es gleiche Wettbewerbsbedingungen in der Europäischen Union schafft, wenn wir einheitliche Regeln haben. Aber natürlich muss der Weg dahin auch so sein, dass er umsetzbar ist. Es heißt ja, der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert – diesen Weg sollten wir bei der SUR jedenfalls nicht einschlagen. Manchmal habe ich aber genau diese Befürchtung.

Die Definition von sensiblen Gebieten entspricht leider nicht der Realität der Bundesrepublik Deutschland. Es kann kein pauschales Verbot des Einsatzes von Pestiziden in sensiblen Gebieten geben. Es darf auch nicht so sein, dass wir quasi "one size fits all" machen. Das würde bedeuten, dass wir ein Referenzjahr wählen, das dazu führt, dass diejenigen, die sich schon längst auf den Weg gemacht haben, genauso behandelt werden, wie die, die gerade erst angefangen haben. Deshalb müssen beim Referenzjahr bereits erzielte Erfolgen bei der Einsparung von Pestiziden berücksichtigt werden. Diejenigen, die schon vor Jahren freiwillig mehr für den Naturschutz geleistet haben, dürfen dafür jetzt nicht nachträglich noch bestraft werden. Wir fangen in Deutschland schließlich nicht von null an, wir haben da bereits einiges geleistet. Es ist schließlich besser für die deutsche Landwirtschaft, wenn Standards überall gelten, nicht nur national. Aber es muss umsetzbar sein, damit wir Schritt für Schritt vorankommen – und es nicht mehr Schaden als Nutzen bringt. Und am besten so, damit Sie nicht noch mehr Zeit im Büro verbringen müssen, sondern da, wo sie lieber sind: auf den Hof.

Wir müssen da nicht bei null anfangen. In Baden-Württemberg gab es das Bienen-Referendum. Die Konsequenz wäre gewesen, dass Sonderkulturen wie der Obstbau am Bodensee oder der Weinbau möglicherweise der Vergangenheit angehört hätten. Es sind Sonderkulturen, die auch für unsere Kulturlandschaften und deren Artenvielfalt prägend sind. Deshalb haben sich in Baden-Württemberg Naturschutz und Landwirtschaft zusammengesetzt und mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz eine gute Lösung. Das ist doch eine gute Blaupause. Daher mein Appell an Brüssel: Schauen Sie sich genau an, was der DBV, die Landesverbände, BUND und NABU gemeinsam mit der Politik in Baden-Württemberg auf die Beine gestellt haben. In diesem Sinne und mit dem Ziel von Wettbewerbsgleichheit verhandelt die Bundesregierung mit Brüssel. Es geht um eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland – aber immer vor dem Hintergrund, dass der Einsatz von Pestiziden runter muss.

Liebe Landwirtinnen und Landwirte,

unser Ansatz für eine nachhaltige Landwirtschaft bedeutet auch, den ökologischen Landbau zu fördern und Bauern darin zu unterstützen, sich für Öko zu entscheiden. Es ist unser Ziel, 30 Prozent Öko-Landbau bis 2030 zu erreichen. Dabei geht es um Öko in der gesamten Wertschöpfungskette – auf den Feldern und in der Herstellung, in den Ladenregalen, in der Außer-Haus-Verpflegung und natürlich auch an der Ladenkasse.

Gerade das vergangene Jahr hat uns einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig eigene Wirtschafts- und Nährstoffkreisläufe sind, um dadurch unabhängiger und krisenfester zu sein. Auch hier leisten unzählige Bio-Betriebe bereits Pionierarbeit. Er schützt in besonderem Maße Klima und Artenvielfalt, Boden, Wasser und Luft. Ich sage aber hier an dieser Stelle ausdrücklich: Es geh nicht einfach um Öko versus konventionell – es geht überall um Nachhaltigkeit.

Lassen Sie uns den alten Gegensatz endlich begraben. Vor Ort begegnet er mir ohnehin nicht. Mein Eindruck vor Ort ist vielmehr, dass die Bäuerinnen und Bauern sich als Kollegen sehen, als Partner, als Verbündete im gemeinsamen Anliegen der Landwirtschaft eine Zukunft zu gehen. Die gesamte Landwirtschaft, gerade konventionell, muss nachhaltiger werden. Der Ökolandbau wiederum muss bei der Produktivität besser werden. An all diesen Schrauben lassen Sie uns gemeinsam drehen, zum Wohle der gesamten Landwirtschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in diesen Zeiten wird auch viel darüber diskutiert, wie wir Flächennutzung und Klimaschutz bestmöglich in Einklang miteinander bringen. Zu Recht sagt der Naturschutz, dass wir schneller werden müssen. Beispielweise durch Wiedervernässung von heute intensiv genutzten Moore. Denn wiedervernässte Moore sind unsere natürlichen Verbündeten beim aktiven Klimaschutz.

Viele Bauernfamilien wirtschaften seit Generationen auf Moorstandorten. "Dem ersten sein Tod, dem zweiten seine Not, dem dritten sein Brot." Dieser Spruch vieler Moorbesiedler beschreibt die Mühen, die vor der landwirtschaftlichen Nutzung eines Hochmoores standen. Früher hat man das Land mühsam der Natur abgerungen und jetzt soll es über Wiedervernässung seiner ursprünglichen Funktion, Kohlenstoff zu binden, zurückgeführt werden.

Wir dürfen nicht vergessen, was das für die Menschen vor Ort bedeuten kann. Klar ist: Für die Höfe muss es sich auch lohnen, klimafreundlich zu arbeiten.

Wir müssen es so machen, dass landwirtschaftlich genutzte Fläche dabei nicht verloren geht – dass wir sie mehrfach nutzen. Das ist längst erfunden: Es gibt die Paludikultur. Damit wird es möglich, Landwirtschaft und Wiedervernässung miteinander zu verbinden, ohne dass die wertvollen Flächen der landwirtschaftlichen Nutzung vollständig entzogen werden. Landwirtschaft und Moorschutz gehören zusammen – und wir müssen es schaffen, beides zusammenzubringen.

Das gleiche gilt für den Ausbau der Photovoltaik: Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien müssen wir schneller werden. Ich sehe kaum einen Hof, wo es nicht PV- oder Solar-Anlagen gibt. Aber auch da müssen wir Landwirtschaft und Klimaschutz bestmöglich zusammenbringen. PV-Anlagen auf wertvollen Agrarflächen führt nur dazu, dass die Preise hochgetrieben werden. Investoren reißen sich die Flächen unter den Nagel – und Jungbauern haben Schwierigkeiten, Land zu bekommen. Lassen Sie uns deshalb den Weg gehen, den einzelne Landesregierungen, beispielsweise Baden-Württemberg, bereits eingeschlagen haben.

PV-Anlagen gehören auf Parkplätze, an die Seite von Autobahnen, auf Dächer und versiegelte Flächen. Aber nicht auf landwirtschaftlich genutzte Flächen, wenn das eben bedeutet, dass sie nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden können. "Dächer statt Felder" ist die Richtschnur! Dann schaffen wir es auch, dass zusammenkommt, was zusammengehört – der Ausbau der Erneuerbaren und die Landwirtschaft. Lassen wir es nicht zu, dass das als Gegensatz betrachtet wird.

Das gilt auch für Biogas. Biogas gehört zu den erneuerbaren Energien dazu. Biogasanlagen tragen dazu bei, dass wir die Fernwärme unterstützen und sind ideal mit Wärmepumpen kombinierbar. Also brauchen wir nicht weniger Biogas, sondern eher mehr.

Lassen Sie mich in ein paar Punkte zu den laufenden Haushaltsverhandlungen sagen. Die Haushaltsverhandlungen finden unter schwierigen Vorzeichen statt. Zum ersten Mal seit Jahren muss laut Finanzministerium ein Sparhaushalt aufgelegt werden. Das alles engt Spielräume deutlich ein.

Es muss aber möglich sein, in wichtige Zukunftsaufgaben zu investieren, wirtschaftliche Impulse zu setzen und die ländlichen Räume weiter zu stärken. Es ist uns schlussendlich gelungen, in harten Verhandlungen die ursprünglich vorgesehenen Kürzungen bei der GAK deutlich zu verringern. Das ist auch dank Ihrer Unterstützung gelungen – dieser Druck war auch notwendig. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die bestehenden Sparauflagen bei GAK und im restlichen Haushalt des BMEL uns vor schwere Entscheidungen stellen.

Wir haben aber die Sicherheit, dass weiterhin Geld in die ländlichen Räume fließt! Aber es muss auch allen klar sein, dass Kürzungen nicht immer den ländlichen Raum treffen dürfen. Wenn wir den Zusammenhalt in Deutschland stärken wollen, dann müssen die Interessen und Belange des ländlichen Raums lauter werden, um gehört zu werden. Die Zukunft der Demokratie in Deutschland entscheidet sich auch an der Zukunft des ländliche Raum. Es gab auch den Vorschlag, dass der Zuschuss von 100 Millionen Euro zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung gekürzt werden soll. Wir haben erreicht, dass die Streichung des Zuschusses vom Tisch ist. Das kann doch gerade in der jetzigen Zeit nicht die Antwort sein.

Liebe Bäuerinnen und Bauern,

Sie schauen auch über den nationalen Tellerrand. Es bewegt Sie, was in anderen Orten dieser Welt passiert – gerade, wenn es um Landwirtschaft geht. Und wenn wir über die globale Bedeutung von Landwirtschaft nachdenken, steht natürlich das Menschenrecht auf Nahrung im Vordergrund. Wenn wir dann die Bilder des gesprengten Staudamms in der Ukraine mit dramatischen Konsequenzen für die Landwirtschaft in der Region sehen, müssen wir erkennen, welche grausamen, direkten Konsequenzen durch Krieg und Konflikte entstehen. Ich habe Prognosen gelesen, dass es bis zu 20 Jahre dauern wird, die Folgen dieser Katastrophe zu bewältigen.

Hunger ist eine Waffe und die Realität zeigt, dass es weiter verbrecherische Staatschefs gibt, die nicht zögern, diese Waffe einzusetzen. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Staatengemeinschaft, dort zu helfen, wo Hilfe dringend benötigt wird. Mein Dank gilt auch ganz ausdrücklich dem DBV und Joachim Rukwied. Sie haben bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht, dass Deutschlands Bäuerinnen und Bauern an der Seite der Ukraine stehen. Und tatsächlich wünsche ich mir auch in unserem Land etwas mehr Bewusstsein, wie wertvoll Freiheit ist – dass sie von Voraussetzungen abhängt, für die man auch kämpfen muss.

In den vergangen beiden Tagen haben wir in Berlin auf der von meinem Haus organisierten "Konferenz gegen Hunger" darüber diskutiert, wie das Menschenrecht auf Nahrung besser umgesetzt werden kann. Wir brauchen zwei Antworten – eine kurzfristige und eine langfristige. Die kurzfristige Antwort liegt auf der Hand:

  • Humanitäre Hilfe, wo es auch nur geht – sowohl um Menschenleben zu retten als auch um die betroffenen Regionen zu stabilisieren. Aber kurzfristige Hilfe allein und Geld allein werden Hunger und Fehlernährung nicht dauerhaft aus der Welt schaffen. Wir müssen dazu die Art und Weise, wie wir Lebensmittel landwirtschaftlich erzeugen, verarbeiten, transportieren, verteilen und konsumieren gerade im globalen Kontext hinterfragen. Denn erstens gibt es de facto genug Lebensmittel auf der Welt – nur eben nicht da, wo sie gebraucht werden.
  • Zweitens nutzen wir vorhandene Lebensmittel nicht immer dafür, dass Menschen ihren Hunger stillen können – sondern wir nutzen sie auch für den Tank, für den Trog oder sie landen gleich in der Tonne – sie gehören aber auf den Teller!
  • Drittens gibt es in unseren Agrar- und Ernährungssystemen Abhängigkeiten beim Import und Export oder in der Wertschöpfungskette, die einzelne Staaten extrem verletzlich machen. Immerhin gibt es Staaten, die waren zumindest noch vor Kurzem beim Import von Weizen zu 80 Prozent und mehr von Russland und der Ukraine abhängig – das ist weder nachhaltig noch krisensicher.
  • Und schließlich stellen wir die vorhandenen Lebensmittel auch oftmals auf eine Art und Weise her, dass wir uns dabei mittel- und langfristig selbst den Boden unter den Füßen wegziehen. Und das bedeutet, dass wir überall ressourcenschonender, klimaschonender und insgesamt nachhaltiger produzieren müssen.

Im Kern geht es uns darum, die Ernährungssouveränität und den Selbstversorgungsgrad überall zu stärken. Und eines ist dabei völlig klar: Wenn wir den Hunger erfolgreich bekämpfen wollen, dann müssen wir unbedingt die Bäuerinnen und Bauern in den Ländern vor Ort unterstützen. Das ist eine notwendige Bedingung für alles weitere, zumal da noch ein gigantisches Potenzial besteht, um Erträge zu sichern und zu steigern.

  • Wir müssen die Menschen stärken, die häufig die lokalen Strukturen tragen – das sind insbesondere Frauen.
  • Wir müssen für einen fairen Zugang zu Land und Saatgut sowie für einen Schutz von Landnutzungsrechten sorgen.
  • Wir brauchen echten Wissenstransfer und Kooperation, einen fairen Agrarhandel.
  • Wir müssen es auch schaffen, die teils gigantischen Nachernteverluste bestmöglich zu vermeiden.

Um es in einem Satz auf den Punkt zu bringen: Wir müssen Getreidesilos bauen, statt immer nur Getreidesäcke zu schicken – das würde die Ernährungssouveränität der betroffenen Länder stärken. Die souveräne Selbstversorgung vor Ort kann tatsächlich daran scheitern, dass es keine Getreidesilos gibt – das können wir doch ändern! Und dieses Gesamtpaket an Maßnahmen würde auch dazu beitragen, die globale Erträge und Produktivität zu steigern – ohne bei uns "Vollgas" geben zu müssen, als gäbe es keine Klimakrise und kein Morgen.

Lieber Joachim Rukwied,
liebe Landwirtinnen und Landwirte,

auch nach dem heutigen Tag werden wir nicht immer einer Meinung sein. Natürlich nehme ich die Skepsis wahr, hier und da auch Ungeduld. Vielleicht auch Ärger, dass der Falsche die richtigen Dinge sagt und macht. Das gehört zur Debatte dazu. Entscheidend ist, dass wir eine ehrliche Debatte über unsere Landwirtschaft führen. Und ehrlich ist die Debatte nur dann, wenn wir an das Heute UND an das Morgen denken. Denn eine Politik, die immer nur an das Heute denkt, hat uns all die Probleme beschert, mit denen wir uns auseinandersetzen.

Aber wer weiß denn besser als Sie, dass man erst säen muss, bevor man ernten kann. Wir sollten aus Fehlern klug werden, auch wenn es mit Anstrengungen und Zumutungen verbunden ist.

Die deutsche Landwirtschaft kann Zukunft!

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Münster


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