Es gibt genug Lebensmittel – nur eben nicht da, wo sie gebraucht werden.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem BUGA Weltacker-Sommerfest am 21. Juli 2023 in Mannheim

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

vielen Dank für die beeindruckende Runde über den Weltacker.

Ernährungssicherheit und Ernährungsgerechtigkeit – das sind ja auf den ersten Blick recht abstrakte Begriffe. Nicht auf dem Weltacker – denn da werden sie für uns alle greif- und erlebbar – für jeden einzelnen BUGA-Gast, aber gerade auch für Schulklassen, für die Sie mehr als 100 Workshops im Programm haben. Tatsächlich unterschätzen wir doch manchmal, wie wichtig es ist, die großen Dinge ganz konkret zu machen. Erst dadurch wecken wir häufig Verständnis und Empathie. Und erst dadurch verstehen wir dann auch, dass wir manches auf dieser Welt anders und besser machen können.

Vielen Dank an die, die sich für den Weltacker ins Zeug geworfen haben.

Sie haben sich hier in Mannheim ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die nachhaltigste BUGA aller Zeiten auf die Beine zu stellen. Es ist eine großartige Idee, ein ehemaliges Militärgelände zur Frischluftschneise für Mannheim zu machen. Wie wertvoll das ist, spüren wir gerade in diesen Tagen besonders.

Sie zeigen hier, was geht, dass man Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit gestalten kann im kleinen Maßstab - etwa durch Biotope im heimischen Garten, aber auch im Großen.

Mit den "SDG-Gärten", haben Sie sogar die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen hier auf die BUGA geholt. Sie machen damit das gärtnerisch sichtbar und erlebbar, worauf sich die Weltgemeinschaft mit der Agenda 2030 verpflichtet hat. Auch das Nachhaltigkeitsziel, das mit dem Weltacker ja eng verknüpft ist: Kein Hunger! Um dieses Ziel bis 2030 zu erreichen, bleiben uns gerade noch acht Ernten – die diesjährige eingerechnet.

Und die aktuelle Lage kann uns nicht ruhen lassen: Laut dem aktuellen UN-Welternährungs-Bericht waren vergangenes Jahr rund 735 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht. Jeder zehnte Mensch, und auf dem afrikanischen Kontinent sogar jeder fünfte Mensch, sind derzeit von Hunger betroffen. Tatsächlich gingen die Zahlen vor 2015 lange zurück. Doch seither hat uns ein Mix aus Konflikten, Kriegen, Klimakrise und dann auch Pandemie zurückgeworfen. Das ist schwer erträglich und fühlt sich schnell an wie Sisyphos. Der rollt mühsam den gewaltigen Felsblock den Berg hoch, nur damit er ihm wieder entgleitet. Aber im Gegensatz zu ihm haben wir unser Schicksal selbst in der Hand – das glaube ich zumindest. Kriege, Krisen und gerade auch Hunger sind eine Geißel, aber eine menschengemachte.

Wir sind nicht ohnmächtig: Mit unserem Handeln oder Nichthandeln können wir einen Unterschied machen und letztlich alle gewinnen.

Die Frage ist, wie? Wir brauchen zwei Antworten – eine kurzfristige und eine langfristige:

Kurzfristig braucht es humanitäre Hilfe, wo es nur geht – um Menschenleben zu retten und betroffene Regionen zu stabilisieren. So ist das Schwarzmeer-Abkommen, das den Transport von ukrainischem Getreide per Schiff ermöglicht, eigentlich unabdingbar, um der weltweiten Ernährungskrise zu begegnen. Allerdings stand es von Anfang an auf tönernen Füßen. Es wurde von Putin immer wieder für Erpressungsversuche der Weltgemeinschaft missbraucht. Indem er das Abkommen Anfang der Woche gestoppt hat, nimmt er die Ärmsten der Armen auf dieser Welt in Geiselhaft für die Durchsetzung eigener Wirtschaftsinteressen. Denn die bisherigen Lieferungen ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer beruhigten bislang die Weltmärkte und sorgten so für bezahlbare Nahrung. Umso wichtiger ist es jetzt alternative Exportrouten zu stärken und auszubauen.

Aber kurzfristige humanitäre Hilfe und Geld allein werden Hunger und Fehlernährung nicht aus unserer Welt schaffen – wir müssen schon auch grundsätzlich etwas anders und besser machen. Dafür müssen wir die Art und Weise, wie wir Lebensmittel erzeugen, verarbeiten, konsumieren hinterfragen. Denn – das wird hier auf dem Weltacker greifbar: Es gibt genug Lebensmittel – nur eben nicht da, wo sie gebraucht werden.

Wir nutzen vorhandene Anbauflächen nicht immer dafür, dass Menschen ihren Hunger stillen können – sondern wir nutzen sie für den Tank, für den Trog oder sie landen gleich in der Tonne. Wir stellen Lebensmittel zudem oft so her, dass wir uns auf lange Sicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Daher ist klar: Wenn wir hier und anderswo in der Welt dafür sorgen wollen, dass unsere Kinder und Kindeskinder sichere Ernten einfahren können - dann müssen wir ressourcenschonender, klimaschonender kurz nachhaltiger produzieren. Daran arbeiten wir hier in Deutschland, indem wir etwa unsere Bauern dabei unterstützen, mehr Bio auf die Äcker und mehr Tierwohl in die Ställe zu bringen. Und daran arbeiten wir international, beispielsweise zusammen mit gut 40 Ländern in der "Koalition für Agrarökologie". Damit wir Expertise bündeln und Nachhaltigkeit voranbringen.

Wenn wir eine Welt ohne Hunger schaffen wollen, dann geht es aber nicht nur darum, ökologischer zu arbeiten. Dann müssen wir vor allem eins: Die Bäuerinnen und Bauern vor Ort stärken; denn es sind Kleinbauern, die zur Hälfte die Menschheit ernähren. Dann müssen wir die Rolle der Frau in der Landwirtschaft stärken; denn, wenn Bäuerinnen den gleichen Zugang zu Ressourcen hätten, könnten die Ernteerträge um fast ein Drittel gesteigert werden. Dann brauchen wir echten Wissenstransfer und Kooperation. Deshalb intensivieren wir unsere internationale Zusammenarbeit – in Projekten, die auf Dialog, auf wechselseitiges Lernen angelegt sind.

Und das führt mich zur Frage der Glaubwürdigkeit, dass wir auch künftig freie und faire Handelsbeziehungen und eine verlässliche Zusammenarbeit schaffen. Ein offener und transparenter, regel- und wertebasierter Agrarhandel ist eine wichtige Voraussetzung, um Ernährung global zu sichern.

Wir müssen Wertschöpfungsketten resilienter – und dadurch krisenfest – machen. Das kann gelingen, indem wir auf ein ausgewogenes Gleichgewicht setzen – zwischen regionaler heimischer Produktion und Importen aus Drittländern. Und wesentlich hierbei ist eine kohärente Handelspolitik – auch gemeinsam mit den Ländern des globalen Südens –, um Nachhaltigkeit als Standard auch international zu etablieren. Denn auch hier ist klar: Es braucht Regeln, die für faire Arbeitsbedingungen, gesundheitlichen Schutz und den Schutz bestimmter Umweltbelange sorgen – etwa den Umgang mit Schadstoffen. Genau das ist das Ziel des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, das seit Anfang des Jahres gilt.

Und damit komme ich zu dem, was man auf dem Weltacker gut sehen kann: Nämlich, was jede und jeder von uns Tag für Tag in der Hand hat – ganz konkret mit seinen Konsumentscheidungen und gerade auch mit seiner Ernährung. Denn wo unser Essen her kommt - vom Bauernhof nebenan oder der Kakaoplantage vom anderen Kontinent - und wie es produziert wird, das hat eben Folgen:

  • für unsere Gesundheit,
  • für die Umwelt – hier und anderswo in der Welt.

Daher arbeiten wir gerade an einer Ernährungsstrategie, die es allen Menschen leichter machen soll, sich gut, also gesund und zugleich nachhaltig zu ernähren. Es geht bei der Strategie beispielsweise darum, dass wir weniger Lebensmittel verschwenden. Und es geht darum, dass wir mehr Regionales, Saisonales und mehr Bio auf die Teller bringen. Wenn uns das zum Beispiel in der Gemeinschaftsverpflegung gelingt – also in Kantinen, Krankenhäusern, Kitas, Schulen und Co, wo täglich rund 16 Millionen Menschen essen – dann wäre das ein Riesenschritt. Die städtischen Kitas und Schulen hier in Mannheim nutzen diesen Hebel bereits, um mehr Fair-Trade-Qualität auf die Teller zu bringen.

Das Gute ist: Es gibt hier in Mannheim, im Ländle und anderswo jede Menge Ideen, die helfen können, den Stein ins Rollen zu bringen. Und genau die wollen wir fördern. Dafür haben wir einen Wettbewerb gestartet, damit gute Ideen regional modellhaft erprobt werden und Schule machen. 1975 als die BUGA erstmals in Mannheim war, war sie die bis dahin besucherstärkste der BUGA-Geschichte. Für den neuen Superlativ, 2023 die nachhaltigste BUGA ever zu werden, wünsche ich Ihnen eins: Weiter gutes Gelingen!

… und wer könnte das besser schaffen als wir hier in Baden-Württemberg.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Mannheim


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