Wir alle stehen gemeinsam vor der Aufgabe, die Landwirtschaft in Deutschland krisen- und zukunftsfest zu machen.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir zum Haushaltsgesetz 2024 vor dem Deutschen Bundestag am 7. September 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Zum ersten Mal seit Jahren muss ein Sparhaushalt aufgelegt werden, der alle Ressorts gemeinsam herausfordert. Die Spielräume sind viel enger als zu früheren Zeiten, als Zinsen und Inflation niedrig waren und in Europa kein Krieg herrschte.

Da es manche Kolleginnen und Kollegen von der Union gerade mal wieder besser wissen, will ich die Gelegenheit auch nutzen, zu sagen: Hätte man in den Jahren Ihrer Regierungszeit mit dem üppig vorhandenen Geld in die Zukunft investiert, dann müsste diese Regierung jetzt nicht hinter Ihnen herräumen und mit weniger Geld mehr erreichen. In der Disziplin „Mit viel Geld wenig erreichen“ haben Sie es tatsächlich – das muss man wirklich anerkennen – zur unbestrittenen Meisterschaft gebracht.

Wir erinnern uns alle noch daran: Als die Borchert-Kommission ihren Bericht vorgelegt hatte, lag die Inflationsrate bei sage und schreibe 0,5 Prozent. 0,5 Prozent! Sie hatten sprudelnde Steuereinnahmen. Sie hatten für vieles Geld. Nur für eine krisenfeste Tierhaltung in Deutschland war bei der Union kein Geld vorhanden.

Jetzt könnte man meinen, Sie haben die letzten zehn Jahre irgendwo im Exil oder in einem Einbaum auf dem Amazonas verbracht. Den Strukturbruch, vor dem Sie warnen, gab es, und zwar zu Ihrer Regierungszeit. Dazu nur zwei Zahlen. Die Zahl der schweinehaltenden Betriebe ist zwischen 2010 und 2020 von 60.000 auf 32.000 zurückgegangen – bei nahezu gleichbleibenden Tierzahlen –, in Bayern übrigens von 20.000 auf 9.000 Betriebe, also ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Und ich soll jetzt einfach mal so mit dem Finger schnipsen, und alles ist wieder gut? Ich glaube, das ist etwas zu unterkomplex, und das wissen Sie.

Krieg, Energiepreise, Inflation – die Rahmenbedingungen sind alles andere als einfach. Und trotzdem arbeiten wir mit Hochdruck intensiv daran, dass der Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft gegeben wird. Der Fleischkonsum ist so niedrig wie nie seit 1989, als der Verzehr erstmals berechnet wurde. Und ich sage trotzdem hier sehr klar: Wer Kreislaufwirtschaft möchte, braucht zwingend Tierhaltung. Er braucht vor allem eine nachhaltige, krisen- und zukunftsfeste Tierhaltung. Darum haben wir geliefert. Das verbindliche Tierhaltungskennzeichen kommt, beginnend beim Schweinefleisch. Sie erinnern sich vielleicht an die letzte Debatte, die wir hier zu dem Thema geführt haben. Hier kann ich verkünden: Noch im Herbst geht es weiter mit der Außer-Haus-Verpflegung, und dann geht es mit Hochdruck weiter bei allen Nutztierarten und allen Vertriebswegen.

Das Baugesetzbuch ist geändert, damit Ställe unbürokratisch tiergerecht umgebaut werden können. Die Immissionsschutzverordnung ist, wie versprochen, geändert; dafür übrigens auch ein Dank an die 16 Bundesländer, die dabei mitgeholfen haben. Wir haben ein Bundesprogramm mit zunächst eine Milliarde Euro für die Zukunft einer tiergerechten Schweinehaltung aufgelegt. Die Förderdauer geht bis zu zehn Jahre. Eine Milliarde Euro – das will ich hier auch mal sagen –, das ist mehr als jede Bundesregierung zuvor in die Zukunft der Schweinehaltung investiert hat.

Und um an der Stelle vielleicht auch mal mit einer Unklarheit aufzuräumen, die immer fälschlicherweise erzählt wird: Die drei Milliarden bis vier Milliarden Euro, die die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat, beziehen sich auf alle Nutztierarten, alle Vertriebswege und zugleich auf alle Haltungsformen. Das heißt, sie beziehen sich auf das Ende, wenn die Reform vollständig abgeschlossen ist. Die eine Milliarde Euro für das Bundesprogramm ist ausschließlich für die Weiterentwicklung der Schweinehaltung vorgesehen. Das Geld, das der Handel bis jetzt für „Stall plus Platz“ zahlt, bleibt weiterhin im Topf und wird weiterhin investiert. Also, messen Sie uns daran, was wir am Ende, wenn wir die Vorgaben für alle Nutztierarten und Vertriebswege reformiert haben, erreicht haben. Ich sage Ihnen: Auch da werden wir entsprechend liefern.

Damit wir den Konsumenten ermöglichen, sich ganz bewusst für gutes Fleisch aus unserem Land, aus Deutschland, zu entscheiden, kommt auch das Herkunftskennzeichen. Was wir dazu national regeln können, haben wir umgesetzt. Spätestens hier wäre eigentlich ein Lob fällig. Sie könnten ja auch mal zugeben: Es ist aus Ihrer Sicht vielleicht der falsche Mann oder die falsche Koalition; aber es ist gut für die Landwirtschaft, und das sollte doch das Erste sein, worum es geht. In Brüssel setzen wir uns für weiter gehende, europäische Regelungen ein. Denn es ist doch klar: Es ist immer besser, wenn man europäische Regelungen hat. Hier ein dezenter Hinweis: Vielleicht rufen Sie einfach mal bei der Kommissionspräsidentin an. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie Ihr Parteibuch. Das wäre eine gute Gelegenheit, hier gemeinsam etwas für unsere deutsche Landwirtschaft zu erreichen.

Herr Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, hat auf dem jüngsten Bauerntag davon gesprochen, dass die Türe aufgestoßen ist. Ich begrüße diesen Ansatz. Ich finde es klasse, dass unsere Bäuerinnen und Bauern sagen: Wir brauchen Planungssicherheit, Investitionssicherheit. Wir sind bereit, diesen Schritt zu gehen. Ich sage aber auch: Der nächste Schritt muss jetzt gegangen werden mit der dauerhaften Finanzierung des Umbaus von Tierwohlställen. Auch da darf die Opposition gerne eigene Vorschläge machen. Mein Ratschlag wäre: Lassen Sie uns diese Debatte nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent führen. Die deutschen Tierhalter, die deutsche Landwirtschaft braucht die Versicherung, dass die Breite der Gesellschaft und damit auch die Breite der Politik hinter ihr steht.

Sehr schmerzhaft – das will ich hier auch sehr deutlich sagen – sind dagegen die Einsparungen in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Ich weiß, dass die Mittel in der Vergangenheit nicht immer gut abgeflossen sind. Doch die jetzigen Kürzungen treffen leider viele wichtige Projekte im ländlichen Raum. Ich habe das auf meiner Sommertour selber gesehen. Wir konnten immerhin in harten Verhandlungen die letzte Kürzung um 150 Millionen Euro reduzieren. Wir haben dafür gesorgt, dass die vorhandenen Mittel flexibler genutzt werden können. Dennoch hoffe ich darauf, dass es uns in den Haushaltsberatungen noch gelingt, noch mal mehr für die ländlichen Räume zu erreichen.

Eine gute Nachricht will ich hier auch verkünden: Der Ausbau der Windenergie offshore führt dazu, dass wir dieses Jahr erstmals 630 Millionen Euro an Kompensationsmaßnahmen in der Fischerei bekommen. Ich denke, auch da spreche ich im Namen von allen: Sie können uns helfen, hier in die Offensive zu kommen und die Zukunft einer umweltschonenden Fischerei zu stärken.

Eine weitere Nachricht in Sachen Wald: Die Sondermittel für den Umbau des Waldes in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – das wissen Sie – waren nur bis Ende 2023 eingeplant. Aber wir arbeiten an Lösungen, damit die Länder auch weiterhin durch Förderung diese Herkulesaufgabe stemmen können, und es sieht ganz gut aus.

Damit nicht genug. Für Maßnahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau stehen erneut Mittel in derselben Höhe – 36 Millionen Euro – bereit. Für Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Ernährung – auch das ist ein wichtiges Projekt für die Zukunft – stehen 16 Millionen Euro zur Verfügung, für die Eiweißpflanzenstrategie acht Millionen Euro. Auch die internationalen Aktivitäten sind ganz wichtig; denn man schaut auf uns. Und natürlich müssen diese Veränderungen mit sozialer Sicherheit Hand in Hand gehen. Deshalb schaffen wir Verlässlichkeit bei der eigenständigen agrarsozialen Sicherung. Hierfür stellen wir weiterhin 4,1 Milliarden Euro bereit.

Zum Schluss. Wir alle stehen gemeinsam vor der Aufgabe, die Landwirtschaft in Deutschland krisen- und zukunftsfest zu machen. Vergessen wir bei allem Streit in der Sache nicht: Wir verdanken die Tatsache, dass wir in Deutschland mit guten, sicheren Lebensmitteln versorgt werden, unserer deutschen Landwirtschaft. Das ist auch eine gute Gelegenheit, mal Danke zu sagen.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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