Landwirte können Klima, die Natur und Tiere schützen und zugleich hochwertige Lebensmittel erzeugen, aber den Aufwand muss auch jemand bezahlen.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir im Deutschen Bundestag zum Agrarpolitischen Bericht in Berlin am 18.01.2024

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

viele Kolleginnen und Kollegen kommen aus Regionen, die von Hochwasser betroffen waren und sind. Die ersten, die ohne zu fragen geholfen haben, waren Landwirte. Sie haben nicht gewartet, bis der Staat kommt. Wenn der Nachbar absäuft, dann hilft man!

Das zeigt einmal mehr, dass Landwirtschaft mehr ist als die Erzeugung von Lebensmitteln. Sie ist ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft in ländlichen Räumen. Und auch deshalb muss klar sein: Landwirtschaft zukunftsfest zu machen, bedeutet auch, unsere ländlichen Räume zu stärken – und damit auch unsere Demokratie und Zivilgesellschaft.

Bäuerinnen und Bauern haben in den vergangenen Wochen sehr lautstark, aber eben auch ganz überwiegend friedlich protestiert. Das kann und darf man gerne auch mal anerkennen. Und da mancherorts die üblichen Verdächtigen versucht haben, auf diese Proteste aufzuspringen: Die Landwirtschaft in Deutschland ist bunt – nicht braun! Landwirte sind in ihrer Mehrheit sicher konservativ – aber es ist ein Konservativismus, der in der Mitte der Gesellschaft steht. Und genau da brauchen wir ihn auch.

Ich kann gut verstehen, dass Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße gegangen sind! Der erste Vorschlag zur Abschaffung der Agrardiesel-Beihilfe und Kfz-Besteuerung kam plötzlich und unerwartet. Das wäre eine überproportionale Belastung einer einzelnen Branche gewesen. Es sollte ein selbstverständlicher Teil unserer politischen Kultur sein, Fehler anzuerkennen zu korrigieren. Genau das haben wir getan! Wir haben jetzt einen Kompromiss gefunden, der angesichts der schwierigen Umstände fair und vertretbar ist – aber das bedeutet keineswegs, dass unsere Arbeit erledigt ist!

Ich habe in den letzten Wochen an vielen Orten mit Landwirtinnen und Landwirten diskutiert und vor allem viel zugehört. Ja, der ursprüngliche Beschluss war der Auslöser für die Proteste der Landwirte. Aber immer wieder hat man mir gesagt, dass es nur der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ein Fass übrigens, das ich vor zwei Jahren schon gut gefüllt übernommen habe. Und da wundere ich mich schon über manche Wortmeldung aus der Opposition. Sie tun ja gerade so, als seien sie die letzten Jahrzehnte im Amazonas im Einbaum auf Goldsuche gewesen und hätten mit alldem nichts zu. Wenn man über 50 Jahre im Landwirtschaftsministerium gesessen hat und so gar keine Demut kennt, dann doch wenigstens staatpolitische Verantwortung.

Wir können jetzt das übliche Ritual vollführen: Die Opposition tut so, als hätte es zu ihrer Regierungszeit keinen Strukturbruch bei der Tierhaltung und ein dramatisches Höfesterben gegeben. Und ich erkläre, was wir in den vergangenen beiden Jahren alles Tolles gemacht haben. Die Wahrheit ist doch: Wir bauen auch auf dem auf, was von Ihnen eingesetzte Kommissionen erarbeitet haben. Wir haben ein Tierhaltungskennzeichen beschlossen. Wir haben für die Weiterentwicklung der Tierhaltung in der Schweinehaltung eine Milliarde Euro Anschubfinanzierung bereitgestellt. Noch in diesem Februar tritt die Herkunftskennzeichnung für unverpacktes Fleisch in Kraft. An der Ausweitung auf die Außerhaus-Verpflegung arbeiten wir. Das sind doch alles Punkte, die auch auf ihrer Agenda standen. Da bricht uns doch kein Zacken aus der Krone, das gegenseitig anzuerkennen.

Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: Sie gehen den Söderschen Weg und tun so, als hätten die letzten 50 Jahre die Grünen regiert. Oder Sie gehen den Weg, den die Kollegen Wüst und Günther gehen und sicher auch Teile der Union gehen wollen. Dann arbeiten Sie mit uns konstruktiv daran, unsere Landwirtschaft zukunftsfest zu machen. Denn natürlich wissen gerade die Landwirte, dass sie sich verändern müssen, wenn die Rahmenbedingungen sich durch Verbraucherwünsche, Klimakrise und Artensterben verändern. Deshalb erwarten sie mit Fug und Recht von uns, nicht nur Ziele zu setzen, sondern sie auf dem Weg dahin auch angemessen zu unterstützen.

Und wir können sofort gemeinsam anfangen. Landwirte können Klima, die Natur und Tiere schützen und zugleich hochwertige Lebensmittel erzeugen, aber den Aufwand muss auch jemand bezahlen. Deshalb müssen wir die Stellung der Landwirte in der Wertschöpfungskette verbessern. Nur so werden wir es auch schaffen, dass sie für ihre Leistungen auch faire Preise erzielen können. Dazu wollen wir das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz weiter nachschärfen. Um Milcherzeugende Betriebe zu stärken, müssen wir den Artikel 148 GMO umsetzen. Schriftliche Verträge zu Preisen und Liefermengen sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Zudem werden wir die Monopolkommission beauftragen, die Wertschöpfungskette vom Landwirt bis zum Handel genau unter die Lupe zu nehmen.

Außerdem ist jetzt die Gelegenheit, dass wir uns parteiübergreifend auf einen Tierwohlcent einigen. Wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur zum Wohle aller besser schützen können. So wie es auch die Bürger in etlichen Umfragen verlangen und gerade auch der Bürgerrat Ernährung. So wie es die Borchert-Kommission in einem breiten Konsens vorgeschlagen hat. Ob ich mit Kolleginnen und Kollegen hier im Haus oder mit Landesministern aller Couleur spreche: Alle sagen, es braucht eine planungssichere Finanzierung, damit unsere Tierhaltung krisenfest wird. Aber wenn ich frage, ob sie auch öffentlich dafür eintreten, dann wird es schon schwieriger.

In der Regierung ist es nicht viel anders, da gehört zur Wahrheit dazu. Warum? Wenn die Currywurst ein paar Cent teurer wird, dann ist die Furcht vor dem Shitstorm groß. Wollen wir wirklich so weitermachen? Immer laut rufen, Borchert umzusetzen und unsere Tierhalter nicht im Regen stehen zu lassen – aber wenn es konkret wird, sich in die Büsche schlagen? Wollen wir uns wirklich weiterhin von Herrn Aiwanger auf der einen Seite und Peta auf der anderen am Nasenring durch die Manege ziehen lassen? Ein Tierwohlcent hingegen wäre eine Investition in die Zukunft unserer Landwirtschaft, unserer ländlichen Räume – und gutes Fleisch aus Deutschland.

Ich danke den Regierungsfraktionen, dass sie in ihrem Antrag die richtigen Fragen aufwerfen. Zu all diesen Fragen gibt es bereits Antworten, die in den vergangenen Jahren erarbeitet wurden, beispielsweise von der Zukunftskommission Landwirtschaft. Tatsächlich haben wir kein Erkenntnisproblem. Wir müssen entscheiden und umsetzen!

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, wir müssen es endlich einbauen und losfahren – und verloren gegangenes Vertrauen in die Politik zurückgewinnen.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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