Wir wollen es den Menschen leichter machen, sich gesund und nachhaltig zu ernähren – und zwar unabhängig von Herkunft, Bildung und Einkommen.

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Verbraucherpolitischen Forum des vzbv am 25.01.2024 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Ich weiß nicht, wer von Ihnen die Köchin Mona Nemmer kennt. Sie ist studierte Ernährungswissenschaftlerin und in Sachen Außer-Haus-Verpflegung auf Champions-League-Niveau am Ball. Jürgen Klopp hat Frau Nemmer 2016 als Ernährungsberaterin vom FC Bayern zum FC Liverpool geholt – seinem „einzigen wirklichen Weltklasse-Transfer“, wie er sagt. Auch wenn mein Fußballer-Herz bekanntlich für den VfB schlägt und Klopps Team aktuell nicht in der Champions-League ist: Das ist ein Transfer nach meinem Geschmack. Er zeigt, welchen Stellenwert gesunde Ernährung inzwischen im Profisport hat. Gefragt, worum es ihr als "Head of Nutrition" bei der Verpflegung der Sportler gehe, sagte Nemmer: "vor allem darum, Spielerinnen und Spielern zu helfen, häufiger bessere Entscheidungen zu treffen".

Ganz praktisch kann das dann so aussehen, dass sobald die Erkältungssaison ansteht, Nemmer und ihr Küchen-Team die Ingwer- und Kurkuma-Shots ganz selbstverständlich auf dem Weg zum Buffet platzieren. Die Abwehr stärken im Vorbeigehen quasi. Ich will die Köchin nicht für den VfB verpflichten. Aber ganz ehrlich: Es wäre super, wenn Spitzensportler ihr Gewicht in die Waagschale werfen würden, damit dieser Ansatz über die Teller der Sportprofis hinaus Schule macht. Gesunde Ernährung in der Außer-Haus-Verpflegung voranbringen. Indem man gesunde Angebote macht, damit alle die Möglichkeit nutzen können, sich gesund und auch nachhaltig zu ernähren. Genau darum geht es mir als Bundesernährungsminister.

Am guten Willen mangelt es nicht. Gutes Essen – zeigen Umfragen – ist den Menschen wichtig.

Gutes, das heißt für uns, für unsere Gesundheit und unsere Erde – und klar schmecken muss es natürlich auch. Aber dort, wo die Menschen im Alltag essen oder Essen kaufen, wird ihnen gesundes, leckeres und nachhaltiges Essen eben oft nicht so leichtgemacht wie bei Frau Nemmer. Oft sind sie konfrontiert mit vielen, teils widersprüchlichen Informationen. Oder es fehlt ihnen schlicht die Zeit, sich so gesund zu ernähren, wie sie gerne würden. Das alles trägt dazu bei, dass es im Alltag dann häufig mit der guten Ernährung nicht so klappt. Mit den bekannten Folgen für die individuelle Gesundheit und unser Gesundheitssystem.

Die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Adipositas in Deutschland liegen bei jährlich 63 Milliarden Euro. Schon allein aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es also sinnvoll, die Menschen in die Lage zu versetzen, sich möglichst einfach gesund zu ernähren.

Ein solches Angebot zu machen, hat für mich aber vor allem auch etwas mit Fairness und Lebenschancen zu tun. Denn nicht jeder, der sich hierzulande ungesund ernährt, tut das aus freien Stücken. Das gilt gerade für Kinder, die ihre Ernährungsgewohnheiten ja erst ausbilden.Und wenn wir sehen, dass überproportional viele der etwa 1,8 Millionen Kinder und Jugendlichen, die hierzulande unter Übergewicht leiden, aus von Armut betroffenen oder armutsgefährdeten Haushalten kommen, dann kann uns das nicht kalt lassen.

Der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat setzt mit seiner Forderung nach Einführung eines kostenfreien Schulessens hier an – das ist eine klare Botschaft.

Ebenso hat es etwas mit Respekt und Fairness zu tun, dass Patientinnen und Patienten, die genesen wollen, Seniorinnen und Senioren, die nicht mehr selbst kochen können, Berufstätige im Betrieb, Kinder in Kitas und Schulen ebenso wie Studierende in der Mensa, ein Essen angeboten bekommen, das es ihnen ermöglicht, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Um Themen wie diese geht es in der Ernährungsstrategie, die wir vergangene Woche im Kabinett verabschiedet haben.

Wir wollen es den Menschen leichter machen, sich gesund und nachhaltig zu ernähren – und zwar unabhängig von Herkunft, Bildung und Einkommen.

Dazu wollen wir mit der Ernährungsstrategie den politischen Rahmen setzen. In Deutschland entscheidet bitte schön jede und jeder selbst, was er oder sie isst. Uns geht es darum, ein Angebot zu machen, dass die Wahlfreiheit stärkt zugunsten einer vielseitigen, ausgewogenen Ernährung zugunsten einer Ernährung, die reich ist an Gemüse, Obst und Hülsenfürchten, einer Ernährung, die Lebensmittel wertschätzt, die neugierig auf gesunde Vielfalt macht, die unser Teller auch bieten kann – wie ja gerade die Grüne Woche eindrucksvoll zeigt und einer Ernährung, die weniger Ressourcen verbraucht und das Klima schützt. Die Außer-Haus-Verpflegung und dabei vor allem die Gemeinschaftsverpflegung, auf die allein täglich gut 40 Millionen Essen entfallen, ist ein starker Hebel, den wir nutzen wollen. Wir wollen, dass hier jeder und jede eine echte Wahl bekommt, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Wir wollen, dass hier mehr Regionales, Saisonales und mehr Bio auf die Teller kommt, damit hier "gesund und nachhaltig" zum "neuen normal" werden kann. Das schafft dann auch Planbarkeit und Verlässlichkeit entlang der Wertschöpfungskette.

Schon jetzt ist einiges in Bewegung:

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) etwa hat ihre Qualitätsstandards entsprechend überarbeitet. Sie zeigt auf, wie ein gesundes nachhaltiges Angebot aussehen kann – in Kita, Schule, Uni, Betrieb, aber auch im Krankenhaus und der Senioreneinrichtung. Wir unterstützen Kantinen dabei, ihr Angebot auf Bio umzustellen, indem wir entsprechende Beratungsleistungen mit bis zu 80 Prozent bezuschussen. Denn klar ist: Es muss sich auch rechnen – gerade in Zeiten, in denen Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch Caterer jeden Cent zweimal umdrehen. Wir haben eine Bio-Informationsoffensive gestartet, um zu zeigen, was Bio wert ist. Zugleich haben wir dafür gesorgt, dass dieser Mehrwert, auch in der Außer-Haus-Verpflegung für Gäste sichtbar werden kann: Durch neue Logos in Bronze, Silber und Gold. Denn wohin die Reise in unserer Land- und Ernährungswirtschaft geht, das haben eben auch Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihren Kauf-Entscheidungen zu einem Gutteil in der Hand. Genau darum schaffen wir auch hier mehr Klarheit und Transparenz, damit Verbraucherinnen und Verbraucher, die bestimmte Herkünfte oder das Tierwohl beachten wollen, sich bewusst entscheiden können, einen Unterschied zu machen.

Ab dem 1. Februar ist an den Fleischtheken auch bei loser Ware auf einen Blick erkennbar, woher das Schwein, Schaf, oder Geflügel kommt, und wo es geschlachtet wurde.

Noch dieses Jahr wollen wir eine transparente Herkunftskennzeichnung bei Fleisch auch in auch in der Außer-Hausverpflegung schaffen – und natürlich machen wir uns auch in Europa weiter für die Herkunftskennzeichnung stark. Zudem führen wir ab diesem Jahr schrittweise das staatliche Tierhaltungslogo ein. Im Sommer haben wir dazu das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz zusammen mit den nötigen Änderungen im Baurecht und Klarstellungen im Emissionsschutzrecht beschlossen. Davon haben alle was: Landwirte, weil sie ihre großartige Arbeit besser verkaufen können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die verlässliche Informationen über die Qualität des Fleisches erhalten. Die Tiere, die besser gehalten werden.

Meine Damen und Herren, Aus meiner Sicht schaffen wir so eine Win-Win-Situation.

Dass das mancher hier auf der Grünen Woche anders sieht, ist normal. Beim jüngsten Fleischerkongress habe ich einen Metzger getroffen, dessen Frau Vegetarierin ist – und sie lieben sich. So schwarz-weiß, wie manche ihr den Anstrich geben wollen, ist die Welt halt nicht. Da braucht man nur mit offenen Augen über die Grüne Woche zu gehen oder durch Supermärkte streifen, wo derzeit der 5. Veganuary läuft. Die Zahl der Unternehmen, die beim Aktionsmonat mitmachen, hat sich laut Lebensmittelzeitung Jahr für Jahr verdoppelt. Die machen das doch nicht, weil ich Minister bin! Auch ein Blick in die Empfehlungen des Bürgerrats des Deutschen Bundestags zeigt: Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich sogar noch weitergehende politische Aktivitäten als die, die unsere Ernährungsstrategie vorsieht.

Der Wandel auf den Tellern ist längst in Gang; die Frage ist, wie wir ihn begleiten. Wie wir all denen, die das wollen, ein Angebot machen können. Wie wir dabei für Fairness sorgen mit Blick auf die, die es sich nicht leisten können – Stichwort vulnerable Gruppen. Wie wir mehr Fairness schaffen, entlang der Wertschöpfungskette – damit alle ein anständiges Auskommen haben. Aber auch wie es gelingt, mit denen, die die ein oder anderen Maßnahmen kritisch sehen in den Dialog zu kommen und ihnen ein Kompromiss-Angebot zu machen – damit die Mitte stark bleibt und nicht die Ränder triumphieren.

Ich freue mich auf die Debatte.

Erschienen am im Format Rede

Ort: Berlin


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