Ich wünsche mir, dass die Debatte um Nutzhanf weiter versachlicht wird
Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Parlamentarischen Abend des Branchenverbandes Cannabiswirtschaft (BvCW) am 14. Mai 2024 in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
vielen Dank für die Einladung zu Ihrem Parlamentarischen Abend. Herr Heitepriem, an dieser Stelle einen herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Präsidenten der Cannabiswirtschaft. Ich schätze, es könnte kaum eine spannendere Zeit geben, um dieses Amt zu übernehmen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen!
Ich könnte mir vorstellen, dass es im Publikum möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen gibt, über was wir bzw. ich heute spreche. Stichwort: zweite Säule der Cannabis-Regulierung. Ich bitte um Verständnis, dass mein Thema heute wie vereinbart ausdrücklich das Potenzial von Nutzhanf ist. Und hier auch die notwendigen nächsten Schritte, damit sich dieses Potenzial in den kommenden Jahren auch entfalten kann. Nur so viel zur zweiten Säule: Es gibt da noch die eine oder andere Klippe zu umschiffen, aber wir sind dran.
Meine Damen, meine Herren,
die Vorteile des Materials Hanf sind seit Jahrhunderten bekannt. Zu Christoph Kolumbus‘ Zeiten waren Hanfseile aus der Schifffahrt gar nicht wegzudenken. Heute ist Hanf vor allem deshalb interessant, weil er eine klimafreundliche Alternative zu Plastik und Stahl sein kann − zum Beispiel in der Baubranche und Automobilindustrie. Manche sagen, letzteres sei gar keine Neuentdeckung. Sie verweisen etwa auf Henry Fords revolutionäres "Hemp Car", das er vor mehr als 80 Jahren der Öffentlichkeit präsentierte. Damals hat der "Marihuana Tax Act" den Hanfanbau unrentabel gemacht. Nutzhanf wurde von anderen neuartigen Materialien wie Nylon verdrängt. Heute sind die Vorzeichen ganz andere: In Zeiten von Klimakrise und Elektroautos ist ein besonders leichter, widerstandsfähiger und zudem noch nachwachsender Rohstoff plötzlich vielen anderen Materialien überlegen. Hanfpflanzen sind anspruchslos: Sie brauchen wenig Wasser, kaum Dünger, in aller Regel keine Pflanzenschutzmittel und sie wachsen besonders schnell. Hanf ist preiswert und seine Fasern sind super robust. Nicht umsonst wird Hanf gerne als "Rohstoff der Zukunft" bezeichnet.
Trotzdem packen einige das Thema Cannabis und alles, was irgendwie damit zusammenhängt, immer noch mit spitzen Fingern an – wenn überhaupt. Und leider bleibt das nicht folgenlos. 2023 sank die Anbaufläche von Hanf hierzulande erstmals wieder und beträgt rund 5.800 Hektar. Das ist nicht nur schade, sondern eine verpasste Chance – wirtschaftlich, aber auch für den Schutz von Umwelt und Klima. Und inzwischen müsste eigentlich klar sein, dass wir uns solche verpassten Chancen gar nicht mehr leisten können. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, sieht es besser aus. Dort wird mehr als die Hälfte des gesamten europäischen Nutzhanfs angebaut.
Ich wünsche mir, dass die Debatte um Nutzhanf weiter versachlicht wird. Wir sollten Industriehanf als das sehen und anerkennen, was es ist: ein extrem widerstandsfähiger und zudem noch nachhaltiger Rohstoff. Mit dem neuen Cannabisgesetz und den damit geschaffenen legalen Bezugsmöglichkeiten für Cannabis wird nun hoffentlich auch für jeden klar sein, dass der Missbrauch von Hanf abwegig ist, wenn er so wenig THC enthält wie Nutzhanf. Wir machen ja auch keinen großen Bogen um Bäckereien, nur weil dort Mohnkuchen angeboten wird – wo es bei bestimmten Stoffen in Speisemohn übrigens ebenfalls Höchstgehalte gibt, weil es früher schon mal zu schweren Vergiftungen kam.
Umso wichtiger ist es, dass es trotzdem Unternehmer, Landwirte und Forscher gibt, die sich nicht entmutigen lassen. In Deutschland sind in den letzten zwei Jahrzehnten viele Maschinen und Verfahren zur hochwertigen Verarbeitung von Industriehanf entwickelt worden. Ein Teil der Entwicklungen sind dabei im Rahmen staatlich gefördert Programme entstanden. Aber ein Großteil der Erfolge, die die Nutzhanfindustrie bislang vorweisen kann, sind vor allem dem Durchhaltevermögen einzelner Personen zu verdanken. Und natürlich der Arbeit Ihres Verbands.
Es wird Zeit, dass Ihre Branche, die Cannabiswirtschaft, die gleiche Anerkennung erhält, wie jeder andere Industriezweig, der gute Arbeit leistet. Und dass sich die − von Ihnen zurecht als "harte Startbedingungen" − bezeichneten Umstände für den Anbau von Industriehanf verbessern. Wir wollen dazu beitragen, indem wir die Vermarktungsmöglichkeiten von Hanferzeugnissen verbessern. Schließlich geht es hier auch um neue Einnahmequellen für Landwirtinnen und Landwirte.
Dazu müssen nicht nur Schranken im Kopf, sondern vor allem rechtliche Hürden abgebaut werden, die den Anbau von Nutzhanf im Vergleich mit anderen Agrarprodukten immer noch benachteiligen. Es ist klar, dass wir auch hier Regeln kritisch hinterfragen und Bürokratie abbauen müssen. In einigen Bereichen setzt uns das EU-Recht Grenzen – hier will ich mit meinen Kollegen über den Abbau weiterer Hürden sprechen. Aber schon jetzt können und müssen wir ran an die Missbrauchs- oder Rauschklausel, wie sie gerne genannt wird. Ihre Abschaffung ist längst überfällig.
Außerdem wollen wir den Weg für den Indoor-Anbau von Nutzhanf freimachen. Wir sind kurz davor, mit den betroffenen Ressorts das entsprechende Gesetz zur Änderungen des Cannabisgesetzes abzustimmen. Hier gibt es noch Diskussionsbedarf, aber wir sind auf einem guten Weg. Erleichterungen bei den Vorschriften zu Blühmeldungen und Saatgutetiketten sind bereits beschlossen. Blühmeldungen sind nur noch für diejenigen verpflichtend, die vorher eine Mitteilung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erhalten haben, dass sie auch tatsächlich kontrolliert werden sollen. Und Saatgutetiketten können künftig digital eingereicht werden. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Geben Sie uns gerne Hinweise, wie wir zusätzlich Bürokratie in Ihrer Branche abbauen können!
Und sicher werden wir in den nächsten Monaten weiterhin über die Anhebung des THC-Grenzwertes für den Anbau und Verkehr mit Nutzhanf diskutieren müssen. Schließlich ist auch das eine interessante Möglichkeit, das Segment in Deutschland zu fördern. Allerdings hätte die Anhebung des THC-Grenzwertes von 0,3 auf 1 Prozent europarechtliche Implikationen. Und ich denke niemandem ist daran gelegen, dass die Streichung der Missbrauchsklausel in die Länge gezogen oder sogar gefährdet wird. Deshalb lautet die Devise: Ein Schritt nach dem anderen. Schließlich müssen wir auch diejenigen mitnehmen, die immer noch vor Schreck zusammenzucken, wenn irgendwo das Wort Cannabis fällt.
Meine Damen, meine Herren,
ich habe es bereits erwähnt: Hanf ist so vielseitig! Es gibt Textilen aus Hanf. Nutzhanf kann als Dämmmaterial verwendet werden oder zu Bioplastik verarbeitet werden. Über das Thema CBD und sein Potenzial als zusätzliche Einkommensquelle im ländlichen Raum haben wir dabei noch gar nicht gesprochen. Lassen Sie uns weiterhin die Möglichkeiten ausloten, die der Hanfanbau für die Landwirtschaft, die Wirtschaft, aber auch für den Schutz von Umwelt und Klima leisten kann. Sie haben bereits gute Vorarbeit geleistet.
Ich weiß, dass es manchen zu langsam geht. Aber so ist das nun mal: manchen geht es zu langsam, anderen zu schnell – und wir müssen uns in unserer Demokratie dennoch einig werden. Jetzt ist es an uns, die rechtlichen Bedingungen zu verbessern und endlich alte Zöpfe − wie die Missbrauchsklausel − abzuschneiden.
Vielen Dank!
Ort: Berlin