Wir müssen weiterentwickeln und anpassen, um zu bewahren, was uns wichtig und wertvoll ist

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf der Jahrestagung des Deutschen Forstwirtschaftsrates am 10.06.2024 in Eisenach

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede, 

Europa hat gestern gewählt!

Herr Schirmbeck hat im Vorfeld mit einem Text zur Teilnahme an der Wahl aufgerufen – und das war alles andere als ein gewöhnlicher Wahlaufruf. Es ist ein berührender Text, der einen Bogen von 1945 bis heute spannt. Vor allem sind es die Worte eines überzeugten Europäers, der weiß, dass es weder in Brüssel noch in Berlin oder sonst wo perfekt läuft. Der aber daran erinnert, dass es gerade deshalb die Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger ist, sich dauerhaft für unsere Demokratie zu engagieren – bevor es die Falschen tun und wir unsere Demokratie nicht wiedererkennen.

Demokratie bedeutet nicht, dass wir stets einer Meinung sind, auch nicht in Europa. Vielmehr bedeutet Demokratie doch, dass wir Meinungsverschiedenheiten friedlich diskutieren und gemeinsam Lösungen finden, die uns voranbringen. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer hat einmal erklärt: "Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte." Ich möchte ergänzen, dass auch gegenseitiger Respekt und Neugierde hilfreich sind. 

In diesem Sinne ist die EU Garant und Voraussetzung für Freiheit und Demokratie, für eine starke Wirtschaft und auch Wertschöpfung in den ländlichen Räumen. Das sollte uns immer bewusst sein, wenn politische Kräfte ganz anderes im Sinn haben als ein starkes und vereintes Europa.

Präsident Schirmbeck, deshalb danke ich Ihnen sehr für Ihren Wahlaufruf. 

Meine Damen, meine Herren,

Demokratie wird nicht allein dadurch stark, dass wir unsere Ideale hochhalten, sondern in dem wir den Alltag der Menschen im Blick haben und Probleme lösen. Und zwar, in dem wir uns auf Kompromisse verständigen, die verschiedenen Interessen möglichst gerecht werden – auch bei der Waldpolitik. Und einen eindrucksvolleren und geschichtsträchtigeren Ort, um über die Zukunft unserer Wälder und der Forstwirtschaft nachzudenken, wird man schwerlich finden. Er macht auch demütig angesichts der wunderbaren Landschaft, die uns hier umgibt. Man hat mir schon häufiger ans Herz gelegt, in diesen Wäldern zu wandern.

Unsere Wälder sind Heimat und Teil unserer Identität. Sie sind der Ort, wo der Gedanke der Nachhaltigkeit seine Quelle hat. Sein Holz begleitet uns seit Generationen ein Leben lang. Sprichwörtlich von der "Wiege bis zur Bahre". Zugleich ist der Wald seit unzähligen Generationen ein Wirtschaftsraum, der Existenzen sichert. Mehr als 700.000 Arbeitsplätze in der Forst- und Holzwirtschaft hierzulande sprechen für sich!

Und nicht zuletzt sind Wald, eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und Holzveredlung natürlich entscheidende Klimaschützer.

Der Deutsche Forstwirtschaftsrat unterstreicht dies mit seinem Tagungsthema "Holz rettet Klima". Eine intelligente und effiziente Holzverwendung hilft im Kampf gegen die Klimakrise. Der Holzbau ist hier das prominenteste Beispiel. Genau deshalb setzen wir als Bundesregierung die Holzbauinitiative um.

Doch die Lage ist ernst. Auch in Thüringen weiß man darum: Der hiesige Waldzustandsbericht beschreibt eindrücklich, dass die Schäden in unseren Wäldern weiter zugenommen haben. Hier wie bundesweit gilt, dass weniger als ein Fünftel der Wälder gesund sind. Das zeigt, vor welcher Herausforderung wir alle gemeinsam stehen. In einem Satz: Wir müssen weiterentwickeln und anpassen, um zu bewahren, was uns wichtig und wertvoll ist. Dem wollen wir als Bundesgesetzgeber auch mit der Novellierung des Bundeswaldgesetzes gerecht werden. Und zwar ausdrücklich im Rahmen der föderalen Ordnung. Und ausdrücklich, ohne uns dabei zu verheben. 

Ich möchte einige Worte zum Bundeswaldgesetz sagen – ganz bewusst in der Absicht, die Kritik aus Ihrem Kreis aufzunehmen und so manche Irritation hoffentlich auszuräumen. Der erste und auch bekannt gewordene Gesetzentwurf meines Hauses ist auf deutliche Kritik der großen Waldverbände gestoßen. Ich nehme mir diese Kritik und auch die Sorge von Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern zu Herzen. So wie ich jede sachliche Kritik ernst nehme, weil ich davon überzeugt bin, dass nur dann auch was Vernünftiges rauskommen kann.

Dafür müssen sich alle ein stückweit bewegen. Deshalb wurde der Entwurf gründlich überarbeitet und ausgelichtet. Mir liegen jetzt neue Vorschläge vor, die ich aktuell bewerte. Hier einige Beispiele:

  • Im Zweck des Gesetzes ist nun deutlich herausgearbeitet, dass Klima, Ökologie, Waldwirtschaft und Erholung gleichrangig nebeneinanderstehen. Übergeordnet ist nur der Walderhalt.
  • Die Vorgaben für die Waldbewirtschaftung sind jetzt auf das Wesentliche beschränkt.
  • Das Genehmigungsverfahren für Kahlschläge wird stark entschlackt.
  • Es bleibt nun weiterhin den Ländern überlassen, wie sie unter ihren regionalen Gegebenheiten die ordnungsgemäße Forstwirtschaft definieren.
  • Es gibt auch keine Vorgabe mehr, welcher Flächenanteil maximal von Holzerntemaschinen befahren werden darf.
  • Und schließlich: Im überarbeiteten Entwurf ist kein einziger Straftatbestand mehr geplant, sondern – wie bisher – nur die Ahndung von Ordnungswidrigkeit. 

Diese Änderungen wurden, neben den sehr konstruktiven Beiträgen der anderen Ressorts, von zwei Grundsätzen geleitet:

  • Erstens: Klimaresiliente und produktive Wälder können wir nur gemeinsam mit den Bewirtschaftern vor Ort erreichen.Waldbesitzende und Forstleute vor Ort wissen, was zu tun ist, um den Wald zukunftssicher zu machen – und wir wollen sie dabei unterstützen.
  • Und zweitens: Wir wollen uns in einem Bundeswaldgesetz auf das konzentrieren, was der Bund im Rahmen der föderalen Ordnung tatsächlich regeln sollte. 

Deshalb sichern wir mit der Novelle die Grundlagen für die künftige Unterstützung der Waldbesitzenden. Denn so können Förderinstrumente des Bundes für die Bereitstellung aller Ökosystemleistungen durch die Modernisierung des Gesetzes eindeutig auf das Ziel klimaresilienter und produktiver Wälder ausgerichtet werden. Und das ist ein Aspekt, der mir sehr wichtig ist und einer der zentralen Gründe für die notwendige Novellierung. Außerdem würde es der Privatwirtschaft durch einen bundeseinheitlich nachvollziehbaren Rahmen für die Regeln der Waldbewirtschaftung ermöglicht, sich künftig stärker an der Erreichung von Umweltzielen im Wald finanziell zu beteiligen. Und schließlich werden auch die Änderungen im Gesetz für einen verbesserten Waldbrandschutz und Maßnahmen der Risikovorsorge den Waldbesitzenden und der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen. Das ist angesichts der Klimakrise eine für mich ganz wichtige Verbesserung des geltenden Gesetzes.

Der konsolidierte Entwurf behält natürlich weiterhin die Verbesserungen in der Novelle! Diese betreffen die Stärkung der Eigentümerposition bei Maßnahmen zur Entwässerung der Wälder, bei der kommerziellen Benutzung des Waldes durch Dritte, sowie durch die Vorgabe, sich im Wald naturverträglich zu verhalten. Erweitert und verbessert wird auch das Aufgabenspektrum der Forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse. 

Meine Damen, meine Herren,

die Waldfläche in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Das ist Ihr Verdienst. Das ist auch ein Verdienst des geltenden Bundeswaldgesetzes. Und es ist auch das Verdienst der Landeswaldgesetze. Hier in Thüringen ist bereits im Waldgesetz verankert, dass die Stabilität der Waldbestände vor dem Hintergrund des Klimawandels zu sichern ist. Und auch, dass dazu geeignete und standort- sowie klimafolgengerechte, vorzugsweise einheimische Baumarten, vor allem in reine Fichtenwälder und nicht standortgerechte Wälder einzubringen sind. Dies ist eine, wie ich finde, sehr weitsichtige Regelung, die auch künftig ihre Berechtigung hat. Und darum geht es doch: dass wir die bestehenden Regelungen mit der künftigen Regelung sinnvoll zusammenführen.  

Zugleich ist das Gesetz bald 50 Jahre alt. Es stammt aus einer Zeit, in der die Klimakrise und ihre Folgen nicht so präsent waren wie sie es heute sind. Davor können wir nicht die Augen verschließen. Und zugleich braucht es Augenmaß! Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert.

Sie als Waldbesitzende haben seit jeher das größte Interesse am Erhalt und der Stärkung der Wälder. Sie sollen den Wald weiter nachhaltig nutzen, den klimafreundlichen Rohstoff Holz bereitstellen und damit Beschäftigung und Einkommen in ländlichen Regionen sichern. Und sie sollen zugleich effektiv dabei unterstützt werden, den Wald zu schützen, damit sie und wir alle ihn nutzen können. Natürlich auch, damit der Wald seine wichtige Aufgabe als Klimaschützer erfüllen kann.

Am Ende des Tages geht es in unserer Demokratie immer um Kompromisse, die möglichst viele mittragen. Ich bin überzeugt, dass wird ein gutes und schlankes Gesetz schaffen – mit einem fairen Ausgleich zwischen Nutzen und Schützen.

Aber auch weltweit ist dieser faire Ausgleich zwischen Nutzen und Schützen zu schaffen. Ein verbesserter Waldschutz gegen Gefahren, die den Wald existenziell bedrohen, ist weltweit dringend notwendig. Auch das Hochwasser in Süddeutschland und seine tragischen Folgen unterstreichen, wie wichtig der Wald als Klimaschützer ist. Daraus ergeben sich regionale wie globale Herausforderungen für den Schutz der Wälder.

Sie ahnen es: Ich spreche von der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte. Ich weiß, dass hier zurecht eine große Verunsicherung herrscht – und einiges davon teile ich ausdrücklich. Ich stehe hinter der Verordnung – wir brauchen sie, um die Wälder weltweit vor Vernichtung zu schützen. Sie muss aber auch vernünftig und einfach anwendbar sein – und genau hier hat die EU-Kommission noch nicht entsprechend geliefert, wie das vereinbart war. Es wäre ein schlechter Witz, wenn Deutschland so eingestuft würde, als gäbe es hier ein relevantes Entwaldungsrisiko. Wenn die EU-Kommission hier nicht liefert, würde das unnötige Bürokratie bedeuten – das werden wir verhindern.

Gemeinsam mit Umweltministerin Lemke und anderen Staaten habe ich den EU-Umweltkommissar aufgefordert, eine verantwortungsvolle Umsetzung der Verordnung sicherzustellen. Ich mache da entsprechend Dampf in Brüssel. Die Umsetzung muss so einfach wie möglich und machbar sein. Übrigens nicht nur hier bei uns, sondern auch im globalen Süden.

Meine Damen, meine Herren,

ich muss Ihnen hier an dieser Stelle nicht die Lage des Bundeshaushalts erläutern. Sie wissen, dass er aus verschiedenen Gründen zu einer Herausforderung geworden ist und in vielen Bereichen zu schmerzhaften Einsparungen führt. Dennoch haben wir es trotz knapper Kassen und harter Sparvorgaben des Finanzministers geschafft, dass im Bundeshaushalt in diesem Jahr 250 Millionen Euro für Waldfördermaßnahmen allein über die GAK und das Förderprogramm Klimaangepasstes Waldmanagement eingeplant sind. Wir konnten die ursprünglich eingeplanten GAK-Mittel für Waldumbau und Wiederbewaldung halten. Dafür sind in diesem Jahr im Haushaltsplan bis zu 125 Millionen Euro vorgesehen. Das ist ein großer Erfolg. Für die Waldbesitzenden. Für den deutschen Wald. Und für den nachhaltigen Klimaschutz.

Wir müssen jedoch sparsam mit dem Geld umgehen, das uns der Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung gestellt hat. Deswegen hat der Bundesfinanzminister – als Vorsichtsmaßname – uns im ersten Halbjahr 2024 nur einen Teil der 125 Millionen tatsächlich zugewiesen. Mir ist bewusst, dass diese Vorsichtsmaßnahme zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann. Ich stehe dazu in engem Austausch mit Christian Lindner – und setze mich mit Nachdruck dafür ein, dass zeitnah weitere Mittel für den Waldumbau und die Wiederbewaldung zugewiesen werden und schnell bei den Ländern und den Waldbesitzenden ankommen.

Die anderen GAK-Waldmaßnahmen werden über die reguläre GAK weiter fortgesetzt. Das Förderprogramm Klimaangepasstes Waldmanagement führen wir mit dem Bundesumweltministerium (BMUV) fort. Es wird sehr gut in der Fläche angenommen. Im Jahr 2023 konnten über 8.500 Bewilligungen erteilt werden. Dies entspricht einer förderfähigen Waldfläche von über 1,52 Mio. ha. Insgesamt konnten bereits ca. 21 Prozent des Privat- und Kommunalwaldes in Deutschland erreicht werden. Wir können dieses Förderprogramm trotz schwieriger Haushaltslage durch die Mittel des ANK fortführen. 

Meine Damen, meine Herren,

ich komme zum Schluss. Die Wartburg im Nebel soll auch ein Anblick sein, den man nicht vergisst, wie man mir gesagt hat. Wir feiern dieses Jahr den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, dann kann man in dieser wunderbaren Landschaft hier vermutlich die Atmosphäre und Schönheit spüren, die von seinen Bildern ausgehen.

Wir wollen diese Schönheit gerne vor Ort erleben, nicht nur, wenn wir Bilder betrachten. Wir wollen, dass Kinder und Kindeskinder unsere Wälder genießen und in vielerlei Hinsicht – auch wirtschaftlich – von ihnen profitieren können. Es liegt an uns, das gemeinsam hinzubekommen. Wir brauchen Sie dafür – Ihre Kompetenz ebenso wie Ihre Leidenschaft für unsere Wälder.

Ich bin und bleibe optimistisch, dass wir Gutes hinbekommen.

Danke!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Eisenach


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