Landwirtschaft ist Männer- und Frauensache

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf dem Deutschen Landfrauentag am 2. Juli 2024 in Kiel

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede, 

herzlichen Dank für die Einladung, liebe Landfrauen. Ich freue ich mich sehr, Ihnen heute persönlich zum großen Jubiläum gratulieren zu können – und Ihnen von Herzen zu danken, für die großartige Arbeit, die Sie in mehr als 12.000 Ortsvereinen im ganzen Land leisten. Und das seit 75 Jahren! Herzlichen Glückwunsch!

Sie sind für uns im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wichtige und unverzichtbare Ansprechpartnerinnen – und zwar nicht allein, wenn es um die Belange der Landwirtinnen und Frauen in den ländlichen Räumen geht, sondern auch zu allen andere Fragen, die die Menschen in unseren ländlichen Regionen bewegen. Landwirtschaft, Bildung, soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe von Frauen, Gleichstellung, Ehrenamt, Kultur, Nachhaltigkeit und Klimaschutz – all das sind wichtige Themen und Anliegen Ihrer Arbeit.

Aber auch die Demokratieförderung − und das ist momentan wichtiger denn je. Schon 2019 haben Sie Ihr Positionspapier "Landfrauen zeigen Flagge" veröffentlicht. Im Februar dieses Jahres haben Sie mit anderen Frauenverbänden in einer gemeinsamen Erklärung klare Worte gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Umtriebe gefunden. Auf Ihrer Website bieten Sie einen Argumentationsratgeber für den demokratischen Umgang mit Populismus an. Genau das bedeutet Demokratie: dass wir Meinungsverschiedenheiten friedlich mit Argumenten lösen und nach Möglichkeit gute Kompromisse finden.

Sie schauen genau hin und Sie setzen sich nicht nur für die Interessen der Landwirtinnen und Frauen ein, sondern ganz grundsätzlich für ein gutes Leben und Arbeiten im ländlichen Raum. Das zeigt auch das Engagement Ihrer Präsidentin Frau Bentkämper − als Mitglied im Sachverständigenrat Ländliche Entwicklung, einem Beratungsgremium für das BMEL. Ich danke Ihnen herzlich, liebe Frau Bentkämper, für Ihren Einsatz bei der aktuellen Stellungnahme zum Thema Demokratiestärkung und bei der vorherigen zum Thema Vereinbarkeit.  

Ihr großes Jubiläum zum 75-jährigen Bestehen fällt in eine Zeit, in der Fragen der Gleichstellung wieder lauter und intensiver diskutiert werden. Viele Frauen nehmen es nicht länger hin, dass sie deutlich weniger verdienen als Männer − und gleichzeitig deutlich mehr arbeiten: Pro Tag bringen Frauen für die Pflege von Angehörigen, Kindern oder den Haushalt im Durchschnitt 44 Prozent mehr Zeit auf als Männer. Und die Alterseinkünfte von Frauen waren 2023 im Schnitt 27 Prozent geringer als die von Männern. Es ist wichtig, diese Zahlen und Zusammenhänge immer wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken – und Frauen wie Männer dafür zu sensibilisieren. So wie es auch die Equal-Pay-Beraterinnen aus den Reihen der Landfrauen machen − eine tolle Initiative!

Man muss es bei jeder Gelegenheit betonen: Landwirtschaft ist Männer- UND Frauensache! Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die UN das Jahr 2026 zum "Jahr der Landwirtin" erklärt hat − und damit die Rolle Frauen für die globale Ernährungssicherung in den Fokus rückt. Laut Welternährungsorganisation (FAO) könnten die Erträge von landwirtschaftlichen Betrieben um bis zu 30 Prozent gesteigert werden, wenn Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Produktionsmitteln hätten. Frauen sind weltweit maßgeblich für die Gestaltung nachhaltiger Agrar- und Ernährungssysteme. Wie Untersuchungen zeigen, bauen Mädchen und Frauen meist eine größere Vielfalt an traditionellen Pflanzen an als Männer. Deshalb ist eine ganz grundsätzliche Stärkung von Frauen so wichtig: Zugang zu Saatgut, zu Bildung, zu Verhütung zu Macht und Geld!

Dass Landwirtschaft eben nicht nur Männersache ist, zeigen auch die Ergebnisse der Landfrauenstudie, die der Landfrauenverband mitangestoßen hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass es bereits eine Gleichstellung von Frauen und Männern in der Landwirtschaft gibt: Nur 11 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland werden von Frauen geleitet. Auch bei der künftigen Hofnachfolge liegt der Frauenanteil nur bei rund 18 Prozent. Dabei sind rund 36 Prozent aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft weiblich. Deshalb arbeiten wir kontinuierlich daran, die Ergebnisse der Landfrauenstudie in die Breite zu tragen. Wir müssen die zahlreichen Empfehlungen dorthin bringen, wo sie umgesetzt werden können. Klar ist aber auch: Zur Verbesserung der Gleichstellung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Landwirtschaft brauchen wir die gesamte Gesellschaft. Damit meine ich natürlich Politik, Verbände und Organisationen der Landwirtschaft.

Aber es betrifft natürlich auch die bäuerlichen Familien, wo zentrale Entscheidungen getroffen werden. Die Frage der Hofnachfolge ist eine sehr sensible. Diese Entscheidung ist Privatsache. Es ist mir wichtig, das zu betonen. Aber zugleich können Politik und Gesellschaft Frauen sehr wohl ermutigen, Betriebe zu übernehmen. Und dazu gehört auch, das Thema immer wieder auf die Agenda zu setzen − zum Beispiel in Gesprächen mit Stakeholdern auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Passend dazu planen wir ein Pilotprojekt, in dem hauptsächlich weibliche Trainees eigene unternehmerische Schritte auf einem erfolgreichen landwirtschaftlichen Betrieb machen können. Und mit Blick auf die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2027 wollen wir Junglandwirtinnen und Junglandwirte noch stärker unterstützen, den Einstieg in eine landwirtschaftliche Tätigkeit zu wagen und ein Klima für Innovationen schaffen. An dieser Stelle auch ein großes Lob an die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), die Landwirtschaftliche Rentenbank und auch an das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL). Sie tun viel, um entsprechende Entwicklungen in Gang zu bringen und Frauen beispielsweise bei der sozialen Absicherung oder in Vereinbarkeitsfragen zu informieren.

Und da ich die Hofnachfolge angesprochen habe: Dazu gehört natürlich auch, dass junge Leute überhaupt Lust darauf haben, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen oder in der Landwirtschaft zu arbeiten. Und das hängt ganz entscheidend von den Rahmenbedingungen ab, die wir als Politik gestalten. Zu meinem Politikverständnis gehört es dabei, nicht nur die Leitplanken für künftige Entwicklungen zu setzen, sondern auch Fehler zu korrigieren, wenn es nötig ist. Das fällt Männern nicht immer leicht. So wie beim Beschluss zum Agrar-Diesel und zur Kfz-Steuerbefreiung, gegen die Anfang des Jahres überall im Land Landwirtinnen und Landwirte demonstriert haben.

Meine Position dazu ist bekannt. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass diese Beschlüsse korrigiert werden − mit Erfolg: das Grüne Kennzeichen bleibt. Und die Agrardiesel-Beihilfe wird schrittweise gesenkt. Und vergangene Woche haben wir uns innerhalb der Regierung auf weitere Entlastungen für die Landwirtschaft geeinigt und ein Agrarpaket geschnürt, das mehr Planungssicherheit und finanzielle Spielräume für die Landwirtschaft schafft. Wir haben die Ökoprämien ausgeweitet − wie von der ZKL gefordert. Und wir haben die Milchbäuerinnen und -bauern gestärkt. Und wenn wir über Rahmenbedingungen sprechen, müssen wir auch über die Umstellung auf erneuerbare Energien reden. Sei es durch die Ausweisung von Windparks und Photovoltaik-Flächen. Wenn es darum geht, die Wärmeversorgung zu Hause umzustellen. Oder beim Thema Mobilität. Hier setzen wir auf Ihre Mitgestaltung! Denn damit die Energiewende gelingt, brauchen wir die ländlichen Räume!

Kommen wir aber zurück zur Gleichstellung in der Landwirtschaft. Um da voran zu kommen, ist eines unerlässlich: positive Vorbilder − so wie die Unternehmerinnen des Jahres, die gleich ausgezeichnet werden. Sie zeigen, dass Frauen schon heute oft der Motor für innovative Unternehmen, Projekte und Initiativen in ländlichen Räumen sind. Und je sichtbarer das ist, desto besser, damit es auch andere inspirieren kann. Mit unserem Beitritt zum Aktionsplan "Mehr Unternehmerinnen für den Mittelstand" wollen wir uns mit Akteurinnen und Akteuren aus anderen Wirtschaftsbereichen vernetzen, voneinander lernen und so dem Thema "Frauen in der Landwirtschaft" zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen.

Außerdem stellen wir beim nächsten Zukunftsforum Ländliche Entwicklung im Januar 2025 die Themen Teilhabe, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt ins Zentrum. Unter dem Titel "Land.kann.Vielfalt. – Mach mit!" werden wir auch diskutieren, wie die Teilhabe von Frauen in ländlichen Regionen gestärkt werden können. Das betrifft Frauen in der Kommunalpolitik, der Regionalplanung, in örtlichen Beteiligungsprozessen und Netzwerken. Es betrifft aber ebenso Kinder und Jugendliche, Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie Menschen mit und ohne Behinderungen oder Menschen, die in ihr Heimatland zurückkehren. Wir müssen groß und umfassend denken, wenn wir bei der Gleichstellung wirklich vorankommen wollen.  

"Auf Kurs in die Zukunft" – unter dieses Motto haben Sie die heutige Jubiläumskonferenz gestellt. Das spiegelt gut das Selbstverständnis der Landfrauen wider: Sie gehen mit der Zeit. Sie nehmen aktuelle Herausforderungen und Themen an. Und Sie wollen mitgestalten − für eine gute Zukunft für Frauen in Landwirtschaft und Ländlichen Räumen. Das zeigt sich auch im besonderen Engagement von Ihnen, liebe Frau Bentkämper, im Rahmen der Zukunftskommission Landwirtschaft – diesem wichtigen Forum des Interessenausgleichs. Es wird wohl noch einiges an Zeit vergehen, bis wir sagen können, dass Frauen in der Landwirtschaft die gleichen Chancen haben. Aber: Der Stein ist ins Rollen gebracht. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Sie haben den Stein ins Rollen gebracht!

Kürzlich habe ich einen Artikel über zwei junge Schwestern im unterfränkischen Eußenheim gelesen, die planen den Betrieb ihrer Eltern zu übernehmen. Auf die Frage, ob sie − zwei Frauen, die die Hofnachfolge antreten wollen − mit Vorurteilen zu kämpfen haben, lautete die klare Antwort: "Nein, da haben sich die Zeiten geändert." Es findet also ein Wandel statt – und das sollten wir als Ermutigung begreifen. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und inspirierende Jubiläumskonferenz!

Vielen Dank!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Kiel


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